Liest es sich auf dem Bildschirm oder im Buch besser ? Eine Debatte, die in Famlien oft emotional geführt wird. In Tübingen stellen Wissenschaftler jetzt die Ergebnisse eines internationalen Forscherteams vor – und geben keiner Partei Recht.

Tübingen - Für ältere Menschen ist die Sache oft glasklar: Natürlich ist Lesen auf einem Bildschirm schlechter als in einem Buch. Eine internationale Forschergruppe bewies nun - so einfach ist es nicht. „Die Frage, was besser ist, - Lesen auf Papier oder digital -, ist nicht pauschal zu beantworten“, erklärt die Tübinger Wissenschaftlerin Yvonne Kammerer. Sie ist einer von über 130 Forschern aus rund 30 Ländern, die in der sogenannten „Stavanger Erklärung“ ihre Ergebnisse aus vier Jahren Forschung über Lesepraxis und Auswirkungen der Digitalisierung zusammengestellt haben.

 

Was bedeutet „besseres Lesen“?

So zeigte sich, dass die Frage nach dem „besseren Lesen“ anders gestellt werden sollte. Denn wie das Gelesene verstanden und behalten wird, hängt von der Art des Textes und des Inhalts ab. Und nicht von der Unterscheidung in analog und digital, so Kammerer. „Romane werden zum Beispiel anders gelesen als informative Texte.“ Bei der Romanlektüre müsse man nicht Wort für Wort verstehen, sondern die Geschichte insgesamt erfassen. Zudem tauche der Leser in die Handlung ein, so dass Ablenkung kein großes Problem ist. „Bei diesen sogenannten narrativen Texten zeigen sich keine Unterschiede im Leseverständnis zwischen Papierbuch und Bildschirm-Texten“ erklärt die Psychologin.

Papier oder Bildschirm: Bei Sachtexten macht es einen Unterschied

Eine andere Gattung sind Sachtexte. Hier machen Forscher Differenzen aus. Insbesondere bei langen, schwierigen Sachtexten, die unter Zeitdruck etwa bei einer Klassenarbeit gelesen werden, scheint es sehr wohl einen Unterschied zu machen, ob diese in Papierform oder auf dem Bildschirm abgebildet sind. Dann nämlich ist das Papier dem Bildschirm überlegen. „Am Bildschirm neigen Leser dazu, den Text eher oberflächlicher und flüchtiger zu lesen. Gleichzeitig haben sie aber oft den Eindruck, alles super verstanden zu haben“, erklärt Kammerer.

Ein Plädoyer nur für das gedruckte Buch ist dieses Resultat nicht. Die „Stavanger-Erklärung“ betont gerade, dass es kein „entweder“ von gedrucktem oder digitalem Text gibt, sondern ein „sowohl als auch“. „Das Wichtigste ist, dass man Lesen üben muss. Es geht vor allem darum, effektive Lesestrategien zu vermitteln, egal ob der Text gedruckt oder digital vorliegt“, so die Psychologin.

Digital Natives vs. Digital Immigrants

Kinder müssten lernen, sich während des Lesens zu fragen, ob sie den Inhalt verstanden haben, welche Informationen eventuell noch fehlen und wie relevant das Gelesene für ihre Aufgabe überhaupt ist. Diese Kinder sind mit den neuen Medien groß geworden, sie werden deshalb als Digital Natives bezeichnet.

Das Gegenteil von Digital Natives sind Digital Immigrants. Also jene Generationen, die im Kindesalter beispielsweise gedruckte Bücher gelesen haben und erst im Erwachsenenalter mit den neuen Medien in Kontakt kamen. Wobei es beim Leseverständnis digitaler Texte keine Rolle zu spielen scheint, ob man zum Digitalen Natives oder Digitalen Immigrants gehört. „Obwohl die junge Generation mit digitalem Lesen aufgewachsen ist und in der technischen Bedienung sehr fit ist, schneiden Digital Natives beim Lesen auch nicht besser ab“, erklärt Kammerer.

Lesen begeistert ein junges Publikum

Für die Digital Natives sind Aktivitäten im Netz selbstverständlich, so dass diese steigen werden. „Wichtig ist es daher auch, Kindern zu zeigen, dass man digitale Geräte nicht nur zur Unterhaltung oder zum Austauschen von Nachrichten nutzen kann, sondern auch um Nachrichten zu lesen und Informationen zu recherchieren“, so Kammerer.

Dass Lesen ein junges Publikum begeistern kann, demonstriert die Plattform Wattpad. Romane, Krimis, Fantasiegeschichten, also narrative Texte, sind dort versammelt, die von einem Publikum zwischen zwölf und 25 Jahren verfasst oder korrigiert werden. Weltweit machen etwa 70 Millionen Menschen bei dem Literaturprojekt mit.