Eine Studie hat jüngst offenbart, dass viele Mannheimer von der Arisierung jüdischen Eigentums kräftig profitierten. Das wirft auch ein neues Licht auf den Mäzen Heinrich Vetter.

Mannheim - In aller Stille hat die Universität Mannheim ein Porträt ihres Mäzens Heinrich Vetter abgehängt, das bisher an prominenter Stelle den Flur vor dem Rektorat schmückte. Die Jüdische Gemeinde der Stadt hat ihrem früheren Unterstützer hingegen ganz offiziell die Ehrenmedaille aberkannt, die sie ihm 1998 verliehen hatte. „Wir wollten ein Zeichen setzen“, sagt die Vorsitzende der Gemeinde, Schoschana Maitek-Drzevitzky. „Die Auszeichnung hat unser Vorstand nach den damaligen Kenntnissen verliehen; wir können uns davon im Licht neuer Erkenntnisse heute nur distanzieren“. Auch die Hochschule Mannheim möchte – zumindest etwas – von dem früheren Gönner abrücken. Dort überlegt man, ob der jährlich vergebene Heinrich-Vetter Preis der Sozialwissenschaftlichen Fakultät künftig nicht besser nach der Gründerin der Schule für Sozialwesen, Marie Bernays, benannt werden sollte, einer Jüdin, die 1933 ihr Amt abgeben musste.

 

Vor einem Monat hat die Stadt die Ergebnisse eines umfangreichen Forschungsprojekts vorgelegt. Es zeigt erstmals, dass die Stadt, ihre Bürger, Behörden, Unternehmer und Verbände vor 80 Jahren weit mehr an der systematischen Ausplünderung jüdischer Bürger bei der Arisierung beteiligt waren als man lange geglaubt hat oder glauben wollte. Zu den größten Profiteuren zählte nach der Studie der Historikerin Christiane Fritsche neben der Stadt selbst und dem aus Dresden stammenden Zigarettenfabrikanten Richard Greiling die Mannheimer Kaufhausfamilie Vetter. Sie brachte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fünf Betriebe und drei Grundstücke in ihren Besitz – nicht nur in Mannheim, auch in Karlsruhe und Ilvesheim am Neckar.

Einer der bekanntesten Stifter und Mäzene der Stadt

Heinrich Vetter (1910-2003), der einzige Sohn des Hauses, war 1933 ins elterliche Geschäft eingestiegen und hatte wenig später zusammen mit seiner Schwester einen Teil der arisierten Betriebe übernommen. Nachdem er sein Stammhaus in den 1960er Jahren an das Unternehmen Horten verkauft hatte, wurde er zu einem der bekanntesten Stifter und Mäzene der Stadt.

Wann immer irgendwo Not am Mann war, gehörte der vermögende Kaufmann, der unverheiratet und kinderlos geblieben war, zu den ersten Anlaufstellen. 1997 gründete er eine Stiftung, die inzwischen als Alleinerbin die Förderung seiner Heimatstadt weiterführt. 7,5 Millionen Euro hat Vetter bis zu seinem Tod 2003 gespendet, seitdem hat seine Stiftung jährlich zwischen 700 000 Euro und einer Million Euro ausgeschüttet. In den Genuss des Geldes sind viele gekommen, vom Nationaltheater bis zu kleineren Schul- und Sozialprojekten. Die Kunsthalle hat ihr zentrales Forum nach dem Mäzen benannt, im Luisenpark erinnert ein Weg mit Großplastiken an ihn, in der Universität trägt ein Hörsaal seinen Namen. Von 1990 bis zu seinem Tod wurde der Mann mit Ehrungen regelrecht überhäuft. Die Stadt Mannheim und die Gemeinde Ilvesheim haben ihn zum Ehrenbürger ernannt, die Universität verlieh ihm die Ehrendoktorwürde, die Hochschule hat ihn zum Ehrensenator gemacht. Dazu kommen Ehrenringe, Ehrennadeln, Ehrenmedaillen und Ehrenmitgliedschaften.

Schon der Arbeitskreis Justiz äußerte Zweifel an Vetter

Erst als der „Arbeitskreis Justiz“ kurz nach Vetters Tod bei Forschungen zur NS-Zeit eher am Rand darauf gestoßen war, dass dessen Kaufhaus bei der Vertreibung der Juden erhebliche Einnahmen durch die Verwertung der Besitztümer erzielt hatte, die die Opfer bei der Auswanderung und beim Transport in die Lager zurücklassen mussten, gab es erstmals öffentliche Zweifel an der Person des Mäzens. Der damalige Vorsitzende seiner Stiftung, Carl-Heinrich Esser, hat sie brüsk zurückgewiesen. Man sei überzeugt, alle Vorwürfe seien haltlos, sagte er und steuerte demonstrativ 30 000 Euro zur Finanzierung des Forschungsprojekts zur Arisierung bei.

Inzwischen ist klar: Vetter senior war Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Arischer Fabrikanten in der Bekleidungsindustrie (Adefa), die als treibende Kraft der Judenverfolgung gilt. Heinrich Vetter war früh in die NSDAP eingetreten und zeitweilig auch SA-Mitglied. „Dass der geschäftliche Erfolg, der Aufstieg, der streng katholischen Familie über alles ging, lässt sich nicht wegdiskutieren“, stellte Essers Nachfolger in der Stiftung, der frühere Wissenschaftsminister Peter Frankenberg nach der Veröffentlichung der Studie fest.

Der Gemeinderat will sich mit dem Thema erneut befassen

Erstaunlich scheint, dass dies erst jetzt bekannt wird. Die Familienchronik der Vetters selbst hat noch 1960 nicht verschwiegen, dass ihre Geschäfte zwischen 1933 und 1939 „einen steilen Aufstieg“ genommen haben. Seitdem Christiane Fritsche nun die Hintergründe erhellt hat, kommt in Mannheim die Diskussion in Gang, wie man künftig mit dem Erbe Vetters umgehen soll.

Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) hat angekündigt, dass sich der Gemeinderat noch im April mit dem Thema befassen wird. Auch die Stiftung selbst überlegt, was zu tun ist. Frankenberg hat Verständnis geäußert für die Aberkennung der Ehrenmedaille durch die Jüdische Gemeinde, möchte aber auch künftig mit ihr zusammenarbeiten. Er hat angekündigt, man wolle einen neuen Schwerpunkt setzen, und mehr als bisher Projekte zur Integration, gegen Ausgrenzung von Minderheiten und Antisemitismus fördern.

Barbara Ritter vom Arbeitskreis Justiz hat die Betroffenen aufgefordert, das Bild des Mäzens endlich zurechtzurücken. „Ein stillschweigendes Umbenennen von Hörsälen und Preisen halten wir für nicht angemessen, das wäre eine Politik von Schwamm drüber, wie bisher“, sagte sie.

Das Kaufhaus Vetter – eine Mannheimer Institution

Das Kaufhaus Vetter war in Mannheim über Jahrzehnte eine Institution. Den Grundstein hatte Heinrich Vetters Großmutter Barbara Müller 1885 mit einem Laden für Kurz-, Weiß- und Wollwaren gelegt. Ihre Tochter Frida und ihr Mann Carl Heinrich Vetter bauten das Geschäft von 1913 an zum Kaufhaus aus. Richtig groß wurde das Unternehmen im Dritten Reich. „Rein zahlenmäßig und äußerlich gesehen war die Zeit von 1933 eine Epoche steilen Aufstiegs für das Kaufhaus. Der Umsatz stieg über das 5- bis 6-fache auf 3,9 Millionen Euro“, heißt es in einer Chronik von 1960. Zu diesen Einnahmen kamen Einkünfte aus arisierten Geschäften und Immobilien. Der Studie von Christiane Fritsche zufolge gab es in Mannheim 2805 Arisierungsfälle, bei denen 1600 Betriebe und 1250 unter Druck und deutlich unter Wert von jüdischen in deutsche Hände übergingen. Die Familie Vetter zählte zu den größten Profiteuren. Sie kam unter anderem in Besitz der Firma „Samt und Seide“ und deren Grundstück in N 7 sowie der Hutfabrik GmbH und der Firma Hut- und Putzvertriebs GmbH. Der 1910 geborene Heinrich führte als Diplomkaufmann zunächst das Kreditbüro im elterlichen Betrieb. 1934 übernahm er mit seiner Schwester eine eigene Firma. Im Mai 1933 trat Vetter der NSDAP bei. Von 1939 bis 1942 kämpfte er als Kriegsfreiwilliger und wurde schwer verletzt. Nach dem Tod des Vaters wurde er 1946 Geschäftsführer des ganzen Unternehmens, das er 1960 an die Horten AG verkaufte, deren Generalbevollmächtigter er blieb, bis er sich 1985 ins Privatleben zurückzog.