Die Studie über das Auswärtige Amt zur NS-Zeit zeigt bietet Stoff und Anlass für drei wichtige Schlussfolgerungen.
01.11.2010 - 18:14 Uhr
Stuttgart - Eigentlich ist es erstaunlich, wie intensiv sich die Öffentlichkeit in dieser Woche mit einem fast 900 Seiten starken Werk namens "Das Amt und die Vergangenheit" befasst. Die Ereignisse, die es schildert, liegen rund siebzig Jahre zurück. Sein Stil ist um wissenschaftliche Korrektheit peinlichst bemüht. Es geht bei alledem um Verstrickungen der deutschen Außenpolitik in die Verbrechenspolitik der Nationalsozialisten 1933 bis 1945, um eifrige Dienstleistungen der deutschen Diplomatie für Kriegsverbrechen und Völkermord. All das ist inzwischen relativ lang her. Mit den heutigen Beziehungen zum Ausland hat es nichts mehr zu tun. Es gibt daher auch keinerlei Konsequenzen für den aktuellen politischen Alltag, sieht man mal ab von ein paar neuen Leitlinien für die Nachrufe des Auswärtigen Amtes auf die letzten Altvorderen. Woher also die ganze Brisanz?
Nun, die Studie der Historiker Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann bietet Stoff und Anlass für mindestens drei wichtige Schlussfolgerungen, die über ihr eigentliches Thema hinausweisen. Erstens liefert sie uns weitere Belege, wie politischer Terror tatsächlich funktioniert. Wir sind ja geneigt anzunehmen, eine Diktatur müsse, um bestehen zu können, klar, streng und unmissverständlich organisiert sein. Wir glauben - und wir glauben das gern -, dass es in solchen Staaten eine klare Trennung zwischen Herrschern und Beherrschten gäbe, zwischen Handelnden und Behandelten, zwischen Tätern und Opfern. Wir vermuten, eine Diktatur könnte sonst gar nicht bestehen, sondern müsste an inneren Widersprüchen zugrunde gehen.
Eine solche Vorstellung ist schon deswegen so naheliegend wie vergleichsweise angenehm, weil sie im Nachhinein eine scheinbar klare Grenze zwischen Verbrechern und Unschuldigen ermöglicht - mit der Tendenz, den Kreis der "wirklichen Verbrecher" möglichst klein, die Masse der "irgendwie-allesamt-Opfer" aber denkbar groß zu ziehen. Lange Zeit hat diese Herangehensweise die Aufarbeitung der NS-Gräuel in Deutschland geprägt, und zwar selbst zu Zeiten, da die Strategie des völligen Verdrängens oder Verschweigens durchaus schon überwunden war.
Keine Gruppe kann sich in einem Verbrecherstaat reinhalten
Die Autoren vom "Amt" sind keineswegs die ersten Historiker, die ein anderes Bild zeichnen. Aber sie können es nun besonders eindrucksvoll belegen: Die Nazidiktatur war alles andere als eindeutig strukturiert, die Macht keineswegs klar verteilt. Es war mitnichten ein Unfall, sondern vielmehr das Prinzip des Terrorstaates, verschiedene Gruppen und Institutionen mit gleichen Aufträgen zu betrauen und sie so in den Wettbewerb um größtes Engagement und effektivste Leistungen treten zu lassen. Mit dieser Strategie gelang es, Heerscharen an sich konservativ strukturierter Beamter zum doppelten Gesicht zu verhelfen: einerseits indigniert über das rohe, unkultivierte Auftreten ungehobelter Nazihorden, andererseits aber voller Eifer, im Wettstreit um Aufstieg und Einfluss den Kampf gegen die sogenannten Feinde des Volkes mit Eifer anzuführen.