Nach der Bundestagswahl im September: Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung belegt, wie stark die Wahlbeteiligung von der sozialen Situation der Bürger abhängt – auch in Stuttgart.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Die jüngste Bundestagswahl stieß bei den Deutschen nur auf schwaches Interesse, die Wahlbeteiligung lag mit 71,5 Prozent nur wenig höher als im Jahr 2009 mit dem historisch niedrigsten Niveau. Aber sie war auch eine Wahl, in der sich die soziale Spaltung Deutschlands noch stärker als bisher im Wahlergebnis niederschlug. In anderen Worten: Die oberen zwei Drittel der Gesellschaft hatten einen erheblich größeren Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundestags als das untere Drittel.

 

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Ihrer Untersuchung zufolge sind am 22. September überdurchschnittlich viele Menschen aus sozial schwachen Milieus nicht zur Wahl gegangen. Die Studie bezeichnet die Wahl daher als „sozial prekär“. „Arbeitslosigkeit, Bildungsstand und Kaufkraft haben nachweislich maßgeblichen Einfluss auf die Wahlbeteiligung“, sagt Jörg Dräger, der Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Arbeit haben oder nicht haben – das ist der wichtigste Faktor

Ausgangspunkt des Forscherinteresses war die Frage, wo die Nichtwähler wohnen. Das eindeutige Ergebnis: Je schlechter die soziale Situation in einem Stadtviertel, desto niedriger die Wahlbeteiligung. Bis zu 46 Prozentpunkte betrug bei der diesjährigen Bundestagswahl der Unterschied in der Wahlbeteiligung zwischen Vierteln in ein und derselben Stadt. Die größte Spreizung entdeckten die Forscher in Köln. So gaben in Köln-Chorweiler, einem durch seine Trabanten-Siedlungen bekannten Viertel, nur 42,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Im bürgerlich-gediegenen Köln-Hahnwald hingegen waren es 88,7 Prozent.

Den stärksten statistischen Zusammenhang ermittelt die Studie zwischen Wahlbeteiligung und Arbeitslosigkeit: In Köln-Chorweiler liegt die Arbeitslosigkeit bei mehr als 19 Prozent, im Stadtteil Hahnwald bei gerade mal einem Prozent. Ähnliche Zusammenhänge zeigten sich bei den Schulabschlüssen, der Qualität der Wohnlagen und der durchschnittlichen Kaufkraft der Haushalte.

Degerloch ist top, Zuffenhausen ist hopp

In Stuttgart sind die Verhältnisse moderater. Mit 76,7 Prozent lag die Wahlbeteiligung auch über dem Bundesdurchschnitt. Dennoch verbirgt sich nach Analyse der Bertelsmann-Stiftung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt hinter dem guten Durchschnittswert ebenfalls eine erhebliche soziale Ungleichheit der Wahlbeteiligung. Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind auch hier die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler.

Am niedrigsten lag die Wahlbeteiligung mit 68,8 Prozent im Bezirk Zuffenhausen. Die Arbeitslosenquote liegt hier für Stuttgarter Verhältnisse hoch – bei neun Prozent. Am entgegengesetzten Ende des Spektrums stand der Bezirk Degerloch mit einer Wahlbeteiligung von 83,8 Prozent. Hier sind nur drei Prozent als arbeitslos registriert. Das Resümee der Forscher lautet deshalb: „Die Bundestagswahl 2013 war auch in Stuttgart eine sozial prekäre Wahl.“

Die Bertelsmann-Stiftung empfindet den engen Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Sozialstatus als besorgniserregend. „Noch nie war das Gefälle in der Wahlbeteiligung so groß wie bei den beiden letzten Bundestagswahlen 2009 und 2013“, sagt Jörg Dräger. Die Ungleichheit der Wahlbeteiligung habe sich in den vergangenen vier Jahrzehnten verdreifacht: „Die soziale Selektivität der Wählerschaft verfestigt sich und führt zu einer zunehmenden sozialen Spaltung unserer Demokratie.“