Hierzulande kämpfen die Leser mit ähnlichen Problemen. Eine Forschergruppe um Monique Janneck, Professorin für Elektrotechnik und Informatik der Fachhochschule Lübeck, ließ eine Woche lang elf Testpersonen Texte in Büchern, auf E-Readern und Tablets lesen. Danach erklärte die Mehrzahl der Leser, dass sie am liebsten gedruckte Bücher lesen würden. Zudem glaubten die Versuchspersonen, dass sie auf Papier schneller lesen können – Irrtum: „Unabhängig von ihrem persönlichen Lesetempo lasen sämtliche Testpersonen auf dem elektronischen Lesegerät Kindle am schnellsten.“ Danach folgten zwei Tablet-Computer und erst dann das gedruckte Buch. Auffällig auch: die Probanden mit den elektronischen Geräten lasen viel mehr als die Kontrollgruppe mit gedruckten Büchern. Dennoch verbanden die meisten Leser mit gedruckten Büchern Gemütlichkeit; sie bewerteten Haptik und Geruch von Papier positiv. Die Forschergruppe geht deshalb davon aus, „dass ein Siegeszug des E-Books über das gedruckte Buch kaum zu erwarten ist.“
Ob wir auf elektronischen Geräten tatsächlich effizienter lesen? Das untersucht Tilman Dingler vom Institut für Visualisierung der Universität Stuttgart. „Speedreading“ heißt die Methode, auf der seine Forschungen beruhen. Dabei lernen die Teilnehmer schneller zu lesen, etwa indem sie die Zeilen mit Hilfe des Fingers oder eines Stiftes in kontinuierlichem Tempo überfliegen. Eine andere Variante des Speedreading besteht darin, mit einem Blick mehrere Wörter gleichzeitig zu erfassen, ohne diese bewusst einzeln zu lesen. Die „Fixationen“, wie Dingler diesen Blick nennt, will er mit digitaler Hilfe verbessern.
Nicht das Design von Büchern nachahmen
Derzeit entwickelt Dingler eine App, die den Text – wie ein Stift – auf einem elektronischen Lesegerät in einem variablen Tempo markiert. Schnelleres Lesen verspreche auch mehr Spaß, vermutet Dingler. „Das Auge ist beim Lesen häufig zu langsam für das Gehirn, so dass man anfängt, an etwas anderes zu denken, und abschweift.“ Wer schneller lese, bleibe eher bei der Sache. Die App will er nutzen um zu überprüfen, wie viel, wie häufig und wie schnell die Nutzer damit lesen – und ob sie sich verbessern.Für die Weiterentwicklung des Lesens sollten E-Books auf keinen Fall lediglich das Design von Druckwerken imitieren, betont Kai Kunze, Assistant Professor am Institut für Computerwissenschaften der japanischen Universität Osaka. Natürlich sei es sinnvoll, eine neue Technologie so einzuführen, dass sie dem analogen Gerät ähnele. Zumindest so lang, bis sich die Nutzer an die Umstellung gewöhnt hätten. Zu sehr dürfe man aber Bücher nicht nachahmen wollen: „Man baut damit auch die Probleme mit ein“, sagt der 35-Jährige. So sei das Umblättern von Seiten unpraktisch, vor allem auf elektronischen Geräten, weil man immer warten muss, bis die Seite geladen ist. Scrollen ermögliche dagegen unterbrechungsfreies Lesen. Für die Zukunft hat Kunze die Kamera von Smartphones und Tablets im Auge. Diese könnten auch dazu genutzt werden, die Augenbewegungen der Leser zu verfolgen und auszuwerten. Kunzes Studien mit mobilen Eyetracking-Brillen ergaben, dass damit die Textart automatisch erkannt werden kann („Man kann etwa unterscheiden, ob es sich um ein Comic, ein wissenschaftliches Papier oder einen Zeitungsartikel handelt.“) sowie die Zahl der gelesenen Wörter. Mit dem von Kunze mitentwickelten „Wordometer“ könnten Leser messen, wie viele Wörter sie gelesen haben. Gut für die Bildung: Studien von Neurowissenschaftlern und Wahrnehmungspsychologen haben ergeben, dass das Allgemeinwissen einer Person mit der Menge des Gelesenen steigt – unabhängig vom Genre.