Der Niedersachse Dirk Winter ist Deutschlands erster Professor für Pferdewirtschaft. Sein Lehrstuhl in Nürtingen wird von Studenten überrannt.  

Nürtingen - Die Statur eines Jockeys hat Dirk Winter ja, das erfüllt die Erwartungen. Aber von seinem Lehrstuhl für Pferdewirtschaft ist man doch etwas enttäuscht. Man hatte wohl eine Ranch erwartet, aber es gibt hier im Zentrum von Nürtingen nicht einmal einen Pfosten, wo man sein Pferd anbinden könnte - stattdessen Kurzzeitparkplätze.

 

Deutschlands erster Pferdeprofessor residiert in einem kleinen Büro im historischen Spital - heute Sitz der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen - und blickt auf die Altstadt. Ein Studium ist nun mal theoretisch, und die Studenten sitzen in resopalgrauen Seminarsälen und hören Vorträge über die Grundlagen der Pferdehaltung, über die Ökonomie in der Branche, die Fütterung und Zucht der Tiere, die Ausbildung von Reitern und die wirtschaftliche Basis eines Reiterhofes oder eines Futtermittelbetriebes.

Man hat in Nürtingen vor drei Jahren mit der Gründung des ersten Lehrstuhls für Pferdewirtschaft absolutes Neuland betreten - und man hat in Dirk Winter einen Mann gefunden, der sich für die Sache begeistert. "Ich bin durch und durch ein Pferdemensch", sagt der 48-Jährige. Er gerät so in Fahrt bei der Schilderung dieser "super großen Herausforderung", dass er fast vergisst, den versprochenen Kaffee zu brühen.

Jährlich setzt die Branche fünf Milliarden Euro um

Im Oktober 2010 hat die Hochschule Dirk Winter als ordentlichen Professor für Pferdewirtschaft berufen. Er ist in Deutschland der Erste seines Faches, aber es gibt Vorbilder: Lehrstühle für Pferdewissenschaft in Österreich, Holland und Großbritannien. Irgendwann war dem Studiendekan für Agrarwirtschaft in Nürtingen, Stanislaus von Korn, aufgefallen, dass 60 Prozent der Pferdefachstudenten - beispielsweise in Wien - aus Deutschland stammen. Da war doch eine Marktlücke, sagte sich von Korn und trieb die Gründung des Lehrstuhls voran. Heute kann man nach sieben Semestern - eins gilt der Praxis - seinen Bachelor im Pferdefach in Nürtingen machen. Die Universität Göttingen bietet zum Draufsatteln einen Masterstudiengang an, der auch Agrarwissenschaftlern offensteht.

Anfangs sei man etwas belächelt worden, sagt der Nürtinger Hochschulrektor Werner Ziegler. "Da hieß es: mach doch mal einen Katzenstudiengang." Heute aber lache keiner mehr, der Studiengang habe "sehr gut eingeschlagen". Eine Marktforschung habe der Hochschule damals gezeigt, dass das Thema Pferd wissenschaftlich angegangen werden könne.

"Der Wirtschaftsfaktor der Pferde- und Reiterbranche ist groß", sagt Dirk Winter. Jährlich setze die Branche rund fünf Milliarden Euro um - wobei die Vermarktung von Pferden sowie der Reitunterricht gar nicht erfasst seien: Die Zahl spiegele nur den Reitanlagenbau, den Absatz von Futtermittel und Zubehör, die Turniere, den Anhängerbau und anderes Pferdespezifische. Die Umsatzzahl liege höher als die der Spielzeugindustrie (3,5 Milliarden Euro). 10000 Unternehmen tummelten sich im Reitersektor, 60 Zeitschriften befassen sich mit dem Thema. Messen wie Eurocheval, Pferd und Jagd oder Equitana verraten einiges über die Kraft der Branche. "Unsere Absolventen werden vielschichtig ausgebildet und können Betriebe führen. Sie werden auch aus der Industrie stark nachgefragt", sagt Winter. Auch Zuchtverbände, Eventagenturen und Messen hätten Interesse an Experten. Früher gab es allein den Lehrberuf des Pferdewirtes, eine dreijährige Ausbildung. Jetzt wird die Sache akademisch.

Hohe Pferdeaffinität im Südwesten

Dies geschieht vor dem Hintergrund eines anhaltenden Booms. Zwar sinke die Bedeutung der Rennbahnen, aber das Reiten als Breitensport verzeichne Zuwächse, sagt Professor Winter. 1,1 Millionen Pferde soll es in Deutschland geben, neun Millionen Bundesbürger haben Interesse am Reiten.

Ein billiger Volkssport ist Reiten indes noch nicht. Wer sein eigenes Pferd in einem Pensionsstall unterstellen möchte, der zahlt dafür rund 300 Euro im Monat. Alles in allem schlage das Hobby mit 600 bis 700 Euro zu Buche, sagt Winter. Die starken Zuchtverbände seien traditionell die von Hannover und Oldenburg, aber zahlenmäßig seien Ballungszentren wie Düsseldorf-Köln, München, Hamburg, Stuttgart und Berlin - wo eine zahlungskräftige Klientel sitzt - die Hochburgen der Freizeitreiterei. Dass ausgerechnet eine schwäbische Kleinstadt - 90.000 Pferde zählt man in Baden-Württemberg - den Zuschlag für eine Pferdeprofessur erhielt, mag ein Glücksfall sein. Aber Winter weist auf die hohe "Pferdeaffinität" im Südwesten hin, so steht sein Lehrstuhl im engen Austausch mit dem Landesgestüt in Marbach.

Winters Studenten sollen auch Soft Skills erlernen

Wenn der Professor seine Forschungsobjekte sehen will, steigt er ins Auto und fährt ein paar Kilometer aus der Stadt auf den Hof Jungborn, der zur Hochschule gehört und wo früher eine wertvolle Ziegenherde zu Versuchszwecken gehalten wurde. Heute stehen hier sieben Pferde von Studierenden, die dort zum Billigpreis von 120 Euro im Monat untergebracht sind. Hier werden die optimalen Haltungs- und Fütterungsbedingungen für Pferde erforscht. Und hier draußen im grünen Tiefenbachtal sieht man die pferdefreundliche Seite des Professors hoch zu Ross. Locker geht Dirk Winter beim Fotoshooting mit den ihm eigentlich fremden Tieren um, die ihm sofort vertrauen. Winter, eine Art Pferdeflüsterer.

Er wuchs in einem 250-Einwohner-Dorf im Kreis Uelzen auf, seine Eltern hatten einen Hof mit 20 Pferden, schon als Sechsjähriger ist er geritten, und als er beim Bund war, hatte er das Glück, in der Kaserne von Lüneburg stationiert zu sein. "Die hatte eine Reithalle und Ställe. Da habe ich mein Pferd untergestellt." Nach Dienstende konnte der Wehrpflichtige ausreiten. Es folgte ein Studium der Agrarwissenschaft in Göttingen, ein sechsmonatiger Studienaufenthalt in Palmerston North in Neuseeland sowie die Abschlussarbeit über "Stand und Perspektiven der neuseeländischen Reitpferdezucht". Für seine Promotion in Agrarwissenschaft wechselte er die Blickrichtung, da ging es um die "genetische Disposition von Gliedmaßenerkrankungen in der Reitpferdezucht".

Dirk Winter gefallen Kulturen, in denen Pferde nicht als Objekte, sondern als Partner gesehen werden, Arbeitspferde, denen man vertraut, deren Hilfe man braucht: bei den Mongolen, in der spanischen Rinderhaltung und in den USA bei den Westernpferden. Von 1996 bis 2010 arbeitete Winter beim Futtermittelunternehmen Deutsche Tiernahrung in Düsseldorf, zuerst als Produktmanager, später als Vertriebsleiter im Heimtiersektor. Dann kam der Ruf nach Nürtingen. Ein finanzieller Aufstieg?

Die Nachfrage nach dem Studium ist immens

Winter antwortet sibyllinisch: "Es war nicht das monatliche Gehalt, das mich angeregt hat, nach Nürtingen zu kommen." Es war der Job. Noch wohnt Winters Familie - er ist verheiratet und hat zwei Söhne - in Düsseldorf. Auch sein Pferd Samba-Pati, eine 22-jährige Stute, mit der er früher Turnier bestritten hat, steht dort im Stall, wird nur am Wochenende von ihm geritten. Mit dem Aufbau des Studiengangs hat Winter noch alle Hände voll zu tun. Es habe nach Feierabend noch nicht einmal für einen Stuttgart-Bummel gereicht. Noch ist Aufbauarbeit zu leisten, Studieninhalte müssen konzipiert werden. Winter will auch die Persönlichkeitsentwicklung der Studenten fördern, ihnen die Soft Skills beibringen, die sie später in allen Berufen brauchen werden: Zeit- und Personalmanagement, die Fähigkeit zur Selbstreflexion.

Die Nachfrage nach dem Studium ist immens. 400 Bewerbungen gab es zum Wintersemester für 50 Studienplätze, die Hochschule führte einen Numerus clausus ein: Die Note für die Hochschulzugangsberechtigung muss 2,3 betragen, aber wer eine "reiterliche Qualifikation" hat, etwa ein Reiterabzeichen gemacht hat, der kann seinen Schnitt verbessern. Neben Abiturienten können sich Leute mit Fachabitur oder guten Abschlüssen bei Meisterprüfungen bewerben. Auffällig ist der hohe Frauenanteil. Von den 50 Erstsemestern dieses Jahres sind 49 Frauen und nur ein Mann, 2010 waren es nur drei männliche Studenten. Wichtiger ist dem Professor, dass man mit den ersten Bachelorarbeiten nun in die Forschung einsteigt. Eine Arbeit wird sich mit den Anforderungen von Westernreitern an ihre Pferde befassen. Und Winter genießt, was sich jeder Lehrer wünscht: "Die Studierenden sind mit Feuereifer dabei."

Drei Fragen an Winter

Frauenhobby: Warum sind junge Frauen vom Reiten so fasziniert? Auch der Nürtinger Professor Dirk Winter stellt fest, dass es eine „ausgeprägte Affinität von Mädchen“ zu Pferden gebe. Das könne daran liegen, dass es „wirklich schöne und große Tiere“ sind, sagt der passionierte Reiter, der selbst eine Stute besitzt, mit der er bis vor drei Jahren an Turnieren teilgenommen hat. Darüber hinaus bauten Frauen intensiveren Kontakt zu Tieren, besonders Pferden, auf als Männer. „Man muss sich auf das Tier einlassen. Es ist eine Art Partnerschaft mit ihm.“ In Nürtingen sind von 150 Studierenden der Pferdewirtschaft die ganz große Mehrheit Frauen. Nur vier männliche Studenten sind eingeschrieben. Dies liege aber auch an den Zulassungsnoten, die bei weiblichen Bewerbern besser seien als bei männlichen, so Winter.

Leckerli: Brauchen Pferde ein Leckerli? Nein, die Grundlage der Fütterung sind Raufutter wie Heu oder Gras und Krippenfutter. Ein durchschnittliches Warmblutreitpferd benötigt sechs Kilo Heu und zwei bis drei Kilo Kraftfutter täglich. Anders als Katzen haben Pferde keinen Jagd- oder Beuteinstinkt, um ihr Futter zu bekommen. Das Gras steht auf der Weide und braucht nicht erlegt zu werden. Ein zusätzliches „Glücksgefühl" nach erfolgreicher Jagd kennen Pferde also nicht. Dass ein Fehlverhalten sanktioniert wird, weiß das Herdentier genau. Das ranghöhere Pferd hat Vorfahrt beim Fressen und an der Tränke; wer das nicht respektiert, wird weggedrängt. Leckerli können aber manchmal als Belohnung einer erlernten Lektion sinnvoll sein, sagt Winter. Der Spruch, „den sticht der Hafer“, rührt daher, dass ein Pferd nach übermäßigem Haferkonsum die überschüssige Energie mit Bewegung los wird.

Zum Wiehern: Können Pferde wirklich lachen? Manchmal scheinen sie etwas zum Wiehern komisch zu finden, dann reißen sie das Maul auf und ziehen die Lippen hoch. Die Antwort des Pferdeprofessors aus Nürtingen ist ein klares Nein. „Pferde können nicht lachen“, sagt Dirk Winter. Sie kommunizieren vor allem mit Hilfe von Körpersprache und Mimik. Das sogenannte Flehmen bei Pferden, das dem Lachen so ähnlich sieht, dient zur Aufnahme bestimmter Gerüche und Botenstoffe (Pheromone). So kann zum Beispiel ein Hengst feststellen, ob eine Stute paarungsbereit ist.