Den ungeliebten Obolus von bis zu 500 Euro pro Semester gibt es nur noch in zwei Bundesländern. In Niedersachsen könnte er am Sonntag quasi durch einen Regierungswechsel abgewählt werden. In Bayern hat am Donnerstag ein Volksbegehren begonnen.
Stuttgart - Für markante Äußerungen ist CSU-Chef Horst Seehofer bekannt. Auch wie sich der Ministerpräsident im vergangenen November urplötzlich gegen die Studiengebühren stellte, verrät eine gewisse Volksnähe: Es sei den Bürgern angesichts der „finanziell glänzenden Situation“ Bayerns kaum zu erklären, dass der Freistaat von seinen Studenten Gebühren verlange und das Land Berlin mit Geld aus dem Länderfinanzausgleich die Studenten von den Gebühren befreie. Ein Staat müsse auch „Kindern aus bescheidenen Verhältnissen die Chance bieten, gebührenfrei zu studieren“. Das war eine Kehrtwende erster Klasse – garniert mit etwas Berlin-Mobbing.
Nachdem die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern einst führend bei der Einführung von Studiengebühren waren – sie preschten voraus, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2005 grünes Licht gegeben hatte –, kommt nun der große Rollback. Nach und nach haben sich viele Länder wieder von dem von 2006 an wieder eingeführten Obolus für Studenten verabschiedet – oft direkt nach einem Regierungswechsel von der Union zu Rot-Grün. In Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland hat man die Gebühr wieder abgeschafft; im Osten der Republik war sie – zumindest fürs Erststudium – nie verankert. Es bleiben Niedersachsen und Bayern – beide Bundesländer werden von Schwarz-Gelb regiert –, die bis zu 500 Euro pro Semester verlangen.
72 Prozent aller Befragten sind gegen die Studiengebühren
In München waren es die Freien Wähler, die mit der Ankündigung eines Volksbegehrens gegen die Studiengebühren die CSU unter Druck setzten: Wenn die Regierung die Studiengebühr nicht abschaffe, dann werde es das Volk tun – argumentierte Horst Seehofer daraufhin. Er stößt aber auf hartnäckige Ablehnung seines Koalitionspartners FDP, der am Bezahlstudium festhalten will, das jährlich 180 Millionen Euro bringt. Eine Umfrage von Infratest-dimap im Auftrag des Bayerischen Rundfunks ergab, dass 72 Prozent aller Befragten gegen die Studiengebühren sind, 25 Prozent sprechen sich fürs Bezahlstudium aus.
In Bayern ist eine breite Allianz von links bis rechts entstanden – gegen die Gebühr. Auch die evangelische Kirche, die Oppositionsparteien SPD und Grüne sowie die Gewerkschaften sind dabei. „Der Zugang zur höheren Bildung muss für alle sozialen Schichten kostenfrei sein“, sagt der Vorsitzende des DGB in Bayern, Matthias Jena. Franziska Traube von der Landeskonferenz der Allgemeinen Studentenausschüsse schätzt, dass „eine riesige Mehrheit der 330 000 Studenten“ in Bayern gegen die Gebühren sei.
In Würzburg wurden lediglich 180 Bürger gezählt
Die Masse der Studenten allein wird aber nicht reichen. Damit ein Volksentscheid überhaupt zustande kommt, müssen sich 940 000 Bürger – zehn Prozent der Wahlberechtigten – in die Listen beim Volksbegehren eintragen, die noch bis zum 30. Januar in den Rathäusern Bayerns ausliegen. Erst dann kann ein Volksentscheid abgehalten werden, in dem in der Sache entschieden wird. Von einem Ansturm auf die Rathäuser konnte gestern allerdings nicht die Rede sein. Der Start war zögerlich. Am Vormittag wurden beispielsweise in Würzburg lediglich 180 Bürger gezählt, die sich in die Listen des Volksbegehrens eintrugen. Eine schwache Beteiligung könnte den Befürwortern Auftrieb geben: der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft zum Beispiel, welche die Studiengebühren für wichtig hält, weil sie den Studenten „optimale Rahmenbedingungen“ sichere. Sie machten 4,4 Prozent der Gesamtfinanzierung der Hochschulen aus und hätten einen „enormen Qualitätssprung“ beim Lehrangebot gebracht. Ähnlich äußern sich der FDP-Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch und der Sprecher der bayerischen Universitäten, Godehard Ruppert aus Bamberg: „Jeder Euro, der uns genommen wird, verschlechtert die Qualität.“
Auch der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für den Beitrag. Angesichts der Gehaltsperspektiven von Akademikern würde es „niemandem wehtun“, 500 Euro im Semester beizusteuern, erklärte er kürzlich in einem Interview. Hippler schlägt „nachlaufende Gebühren“ vor, die der Akademiker nach dem Studium zahlt.
Der letzte amtierende Ministerpräsident, der sich offen für den Erhalt der Gebühren einsetzt, ist David McAllister aus Niedersachsen (CDU). Die Beiträge der 171 000 Studenten bringen dort jährlich 100 Millionen Euro ein. Sie bescherten „exzellente Studienbedingungen“, gute Ausstattungen von Laboren und längere Öffnungszeiten in den Universitätsbibliotheken des Landes, sagte McAllister vor der Wahl am Sonntag.
Macht Bayern als Letzter das Licht aus?
Den Widerspruch, dass Unibibliotheken andernorts – beispielsweise in Dresden oder Tübingen – viel länger geöffnet haben als die der Universität Hannover, erklärt man in der niedersächsischen CDU-Pressestelle auf Nachfrage mit McAllisters „direktem Erfahrungshorizont“. Der SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil will bei einer Regierungsübernahme die Gebühren abschaffen, auch weil sie zu einer Abwanderung von jährlich 1000 Studenten in andere Länder führten. Heute wird in Hannover – im Finale des Wahlkampfs – nochmals gegen die Gebühr demonstriert.
Macht Bayern im Fall eines rot-grünen Wahlsiegs in Hannover als Letzter das Licht aus? Es wird stark auf die Haltung der CSU ankommen. Seehofer erklärte, dass seine Partei gegen die Gebühr sei, aber beim Volksbegehren nicht mitmachen werde: „Eine Regierung kann nicht gegen sich selbst Unterschriften sammeln.“ Ist das Volksbegehren erfolgreich, folgt binnen eines Jahres der Volksentscheid. Man werde „Schritt für Schritt“ entscheiden, wie es weitergehe, sagte Seehofer. Sei das Volksbegehren erfolgreich, werde sich der Landtag im April oder Mai eine Meinung bilden. Ob ein Volksentscheid gemeinsam mit der für 15. September 2013 geplanten bayerischen Landtagswahl stattfinden kann, ließ Seehofer offen.