Abi-Note, Ortswahl und Wartezeit sollen künftig bei der Studienplatzvergabe keine dominierende Rolle mehr spielen. Hochschullehrer in Heidelberg und Tübingen begrüßen das. In einem Punkt aber rechnen sie mit politischem Streit.

Stuttgart - Große medizinische Hochschulstandorte im Südwesten wie Heidelberg und Tübingen begrüßen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Studienplatzvergabe. „Das Urteil ist zukunftweisend, weil wir von der Fixierung auf die Abiturnote und und insbesondere die unsägliche Wartezeit wegkommen“, sagte Professor Ingo B. Autenrieth, Dekan und Vorsitzender der medizinischen Fakultät der Universität Tübingen, unserer Zeitung. Es sei überfällig, die Studienanwärter in ihrer Vielfalt, vor allem aber im Hinblick auf ihre Eignung für den Arztberuf differenzierter zu betrachten. Bislang geschehe dies nur unzureichend.

 

Neben dem Medizinertest, der vor allem auf die Studierfähigkeit der Bewerber abhebe, sei es geboten, medizinnahe Qualifikationen der Bewerber zu berücksichtigen. Wenn jemand beispielsweise als Rettungssanitäter oder in der Pflege gearbeitet habe, sollte das Bonuspunkte zur Abiturnote geben. „Wir stellen uns ein Punktesystem vor, das in diesem Sinne weitere Kompetenzen neben der Abiturnote berücksichtigt“, so Authenrieth.

Mit Blick auf Auswahlgespräche mit Bewerbern zeigte Autenrieth sich skeptisch. Sie bedeuteten zum einen einen sehr großen Zeitaufwand für alle Beteiligten. Zum anderen seien Fragen der Rechtssicherheit und Transparenz ungeklärt, weshalb es in Baden-Württemberg derzeit keine solchen Gespräche gebe. In der Vergangenheit hatten Bewerber, die nach solchen Gesprächen nicht zum Zuge gekommen waren, den Klageweg beschritten.

Dekane wollen Rechtssicherheit bei Auswahlgesprächen

Professor Andreas Draguhn, Studiendekan der medizinischen Fakultät der Uni Heidelberg, zeigte sich mit der Tendenz des Urteil ebenfalls „sehr zufrieden“. Das Gericht habe auch aus medizinisch-fachlicher Sicht auf die großen bestehenden Missstände hingewiesen. Die Abiturnote dürfe nicht einseitig überbewertet werden, die Ortswahl nicht zu starken Benachteiligungen führen. „Auch der Automatismus, einfach viele Jahre zu warten und dann einen Studienplatz zu erhalten, ist nicht sinnvoll“, so Draguhn.

In Heidelberg sei man auf die Eckpunkte des Urteils und mögliche Folgeregelungen seitens des Gesetzgebers bereits gut eingestellt. Insbesondere würden medizinnahe Aktivitäten der Bewerber schon heute berücksichtigt. Mit Blick auf Auswahlgespräche forderte Draguhn ebenso wie sein Tübinger Kollege Autenrieth rechtssichere Vorgaben. Mit Blick auf das gesamte Auswahlverfahren müsse aber berücksichtigt werden, dass die einzelnen Hochschulen eigene Profile und Schwerpunkte herausgebildet haben. Diese müssten sich im Verfahren auch wiederfinden. „Gerade zu dieser Frage erwarte ich in den kommenden beiden Jahren interessante Debatten“, so Draguhn.

Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) erklärte, das Land sehe sich auf seinem Weg bestärkt, „bei der Zulassung zu NC-Studiengängen, insbesondere zum Medizinstudium, nicht nur die Abiturnote heranzuziehen“. Die Hochschulen im Land berücksichtigten hinsichtlich der fachlichen Eignung der Bewerber bereits seit zehn Jahren neben dem Medizinertest auch einschlägige praktische Erfahrungen. Es gehe jetzt darum, Auswahl- und Zugangsverfahren im Lichte des Urteils „zusammen mit unseren Hochschulen und den Ländern“ weiter zu denken und zu verbessern.

Hausärzte fordern Umsetzung des Masterplans

Auch der Deutsche Hausärzteverband begrüßte die Karlsruher Entscheidung. „Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass die Abiturnote allein nicht dafür ausschlaggebend ist“, sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt. Gerade für Hausärztinnen und Hausärzte seien soziale Kompetenzen im Zweifel wichtiger als ein Abitur mit der Note 1,0.

Weigeldt verwies darauf, dass Bund und Länder bereits vor knapp neun Monaten mit dem Masterplan Medizinstudium 2020 beschlossen haben, dass zukünftig neben dem NC weitere Kriterien bei der Studienplatzvergabe berücksichtigt werden müssen. „Bisher hakt es jedoch ganz gewaltig an der Umsetzung der Reform vor Ort. Damit muss jetzt Schluss sein“, forderte Weigeldt.