Konfliktpotenzial bieten die Obdachlosenunterkünfte an der Aldinger Straße in Kornwestheim nicht nur wegen ihres baulichen Zustandes. Auch prallen dort unterschiedlichste Welten aufeinander. Und mitunter eskaliert das dann – und endet vor Gericht.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Kornwestheim - Konfliktpotenzial bieten die Obdachlosenunterkünfte an der Aldinger Straße in Kornwestheim nicht nur wegen ihres baulichen Zustandes. Auch prallen dort unterschiedlichste Welten aufeinander. Und mitunter eskaliert das dann – wie im vergangenen September, als eine 47-jährige Frau im Zorn zu einem Plastikstuhl griff und ihn nach einem elfjährigen Mädchen warf. Das auf Inlinern umhersausende Kind war ihr auf die Nerven gegangen. Zudem, sagte die Frau, habe das Mädchen ihren Kleinen „angemacht“, der auf derselben Hoffläche mit dem Rad gefahren sei. Und bei so etwas, meinte die Angeklagte, werde sie „zur Löwin“.

 

Elfjährige kommt mit leichten Blessuren davon

Das Ende vom Lied: das Kind kam mit einer leichten Blessur glimpflich davon, und die Frau saß wegen gefährlicher Körperverletzung auf der Anklagebank. Sie habe zumindest billigend in Kauf genommen, warf die Vertreterin der Staatsanwaltschaft der arbeitslosen Kauffrau vor, dass sich das Kind bei dem Angriff schwerer verletze. „Ich hab’ den Stuhl geworfen, aber ich habe sie gar nicht getroffen“, entgegnete die Frau. Sie habe Zeugen. „Warum sitze ich eigentlich hier, wenn ich niemandem etwas getan habe?“ Die Fotos, die von der Polizei gemacht wurden, und die Aussage des Mädchens sprachen aber gegen diese Behauptung. „Sie hat mich getroffen, am Auge“, erklärte die Elfjährige im Zeugenstand.

Seit die Familie des Mädchens dort wohne, sei es mit dem Frieden in der Nachbarschaft dahin, hatte die Angeklagte der Richterin zuvor geklagt. „Eine grandiose Geschichte“ sei das: Früher sei alles ruhig und friedlich gewesen in der Obdachlosenunterkunft, doch mit dem Zuzug der „Neuen“ habe sich das geändert. „Dabei haben wir denen noch helfen wollen, haben ihnen Holz gegeben und Tipps, wie sie da überleben.“ Statt dafür dankbar zu sein, sei die Familie unverschämt, beschimpfe, beleidige und bespucke die anderen Bewohner sogar.

Schimpfwörter aus der untersten Schublade

Die Frau zählte Schimpfwörter aus der untersten Schublade auf, die zwischen den rivalisierenden Parteien zur Tagesordnung gehören sollen. Und erst dieser Tage habe die große Schwester des Mädchens ihr, als sie den Müll rausgebracht habe, eine Dose an den Kopf geworfen. „Das ist nicht schön, was Ihnen widerfahren ist, aber Sie werden sicher nicht deswegen im September vorsorglich schon mal einen Stuhl nach der Schwester geworfen haben“, kommentierte die Richterin. „Irgendwann gehen einem halt die Nerven durch“, meinte die Frau aufbrausend. Die Richterin entgegnete: „Sie kennen doch auch den Spruch ,Der Klügere gibt nach’!“ Zudem rügte sie die Angeklagte: „Sie beschweren sich, wie schlimm die anderen sind, aber Sie selbst unterbrechen mich andauernd.“

Das in den Zeugenstand gerufene Mädchen sagte aus, die Angeklagte sei betrunken gewesen. „Wenn sie besoffen ist, können wir nicht draußen spielen.“ Am besagten Tag habe die Nachbarin auf einem vor dem Haus stehenden Sofa gesessen, der Plastikstuhl habe daneben gestanden. „Sie hat mich beleidigt, den Stuhl geworfen und gesagt, ich soll in mein Land zurückgehen“, sagte das Mädchen. Laut Protokoll der Polizisten sei die Angeklagte „deutlich alkoholisiert“ gewesen, als die Streife eingetroffen sei. Man habe dann vereinbart, dass sich die Familie des Mädchens und diejenige der Frau – ihr jüngster, achtjähriger Sohn, der wie ihre anderen Kinder nicht bei ihr lebt, war an jenem Tag zu Besuch gewesen – sich räumlich getrennt voneinander aufhalten sollen.

Einigung „mit Bauchweh“

Die Richterin und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft einigten sich schließlich – letztere allerdings nur „mit Bauchweh“ –, von der Strafverfolgung abzusehen und der Frau 60 Stunden gemeinnützige Arbeit aufzuerlegen. Finanziell zu belangen ist sie nicht, da sie verschuldet ist und kein eigenes Einkommen hat. Wenn sie die Arbeit fristgerecht verrichte, werde das Verfahren eingestellt, gab die Richterin der Frau, die mit dem Vorgehen einverstanden war, mit auf den Weg. „Ansonsten wird es eine neue Verhandlung geben, und die wird dann nicht ohne Urteil enden.“