Der Verkehrsminister Winfried Hermann will das Informationsrecht der Projektpartner von Stuttgart 21 auf juristischem Weg einfordern. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bahnprojekt erst viele Jahre nach dem geplanten Termin Ende 2020 fertig wird, hält er für ziemlich groß.

Stuttgart – Am Montag treffen sich die Stuttgart-21-Projektpartner zu einem Gespräch, bei dem die Bahn die Kostenexplosion erklären soll. Winfried Hermann will dabei vor allem wissen, wie „innerhalb von sechs Wochen zwei Milliarden Euro Mehrkosten entdeckt worden sind“, so der Verkehrsminister.
Herr Hermann, Ihr Parteifreund Fritz Kuhn hat bei seiner Antrittsrede klare Worte gesprochen. Sind Sie Ihre Rolle als rotes Tuch für die Stuttgart-21-Befürworter los?
Zunächst muss man sagen, dass Fritz Kuhn einen sehr guten Einstand hatte, der große Anerkennung gefunden hat. Er konnte deutlich machen, wie er seine Rolle und Verantwortung als Oberbürgermeister wahrnehmen will. Wir kennen uns schon lange, kommen beide aus Tübingen und haben 1984 beide mit der Landtagsarbeit begonnen. Ich werde eng beim Thema Stuttgart 21 mit ihm zusammenarbeiten und . . .

. . . ihn auf Ihre Linie bringen?
Bei der ersten S-21-Arbeitsgruppe, die ich in den frühen 90er Jahren als Grünen-Landesvorsitzender einberufen hatte, war Fritz Kuhn als Fraktionsvorsitzender bereits dabei. Seither sind wir mit diesem Thema beschäftigt. Er musste sich daher nicht erst einarbeiten wie so manche, die jetzt die großen Reden schwingen. Unsere Ansichten sind deckungsgleich.

Die geplante Sitzung des Lenkungskreises am Montag ist von der Bahn abgesagt worden, die Projektpartner wollen sich aber dennoch treffen. Was für eine Art Treffen wird es sein und werden Sie teilnehmen?
Ich bin sehr überrascht, wie oft in den vergangenen anderthalb Jahren Termine für den Lenkungskreis immer wieder auf Wunsch der Bahn verschoben worden sind. Erst hieß es, gleich nach der Sommerpause, dann wollte man offenbar die OB-Wahl abwarten, jetzt heißt es, zuerst müsse der Aufsichtsrat entscheiden. So geht es nicht mehr weiter. Es gibt eine Geschäftsordnung, in der wir ohnehin sehr auf die Bedürfnisse der Bahn bezüglich der Informationszeiten und Vorläufe eingegangen sind. Selbstverständlich werden wir aber zu dem Treffen gehen, es gibt ja auch sehr viel Gesprächsbedarf. Wir werden unsere Kritik deutlich äußern.

Zuletzt war nach den Sitzungen der Projektpartner immer von freundschaftlich-konstruktiver Atmosphäre die Rede, das dürfte diesmal anders werden.
Unsere Treffen waren keinesfalls nur freundschaftlich, das muss ich deutlich sagen. Vor der Volksabstimmung haben die Herren Grube und Kefer mich sozusagen auf die Anklagebank gesetzt und heftigst angegriffen. Zuletzt haben wir aber sachlicher kommuniziert, das stimmt. Ich kann nicht verhehlen, dass der Ärger über die Informationspolitik der Bahn sehr groß ist. Wir haben immer wieder ausdrücklich nachgefragt, wie es sich mit Mehrkosten und Risiken verhält – und auf unsere Berechnungen verwiesen. Im Oktober noch hat uns Bahnvorstand Kefer versichert, dass es keine Anzeichen gibt, dass der Kostendeckel gerissen wird. Das ist ein Unding.

Dann sind Sie und die anderen Vertreter der Projektpartner angelogen worden?
Ich will nicht sagen, dass wir belogen wurden. Andererseits ist es nicht glaubhaft, dass innerhalb von sechs Wochen zwei Milliarden Euro Mehrkosten entdeckt werden. Es muss schon früher klare Anzeichen gegeben haben, über die wir hätten informiert werden müssen. Wir haben oft genug auf Risiken und optimistische Fehlkalkulationen hingewiesen. Die Bahn muss uns jetzt genau erklären, wie das zustande gekommen ist.

Auf welchem Stand sind Sie denn?
Wir haben bis zum heutigen Tag als Projektpartner – außer einigen Powerpointpräsentationen – noch keine Informationen über die neue Kostensituation bei Stuttgart 21 bekommen. Wir wissen nicht mehr als das, was in der Zeitung steht. Ich frage mich ernsthaft, wie man im Dezember den Aufsichtsrat über Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro und weitere Projektrisiken in Höhe von 1,2 Milliarden Euro informieren kann, aber nach vier Wochen noch nicht in der Lage ist, aussagekräftige Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Es geht immerhin um ein paar Milliarden. Als Mitglied der Regierung bin ich verpflichtet, darauf zu achten, dass dieses Geld nicht in ein Fass ohne Boden geschmissen wird. Ich möchte nicht, dass die Landesregierung in ein paar Jahren vor dem gleichen Desaster wie jetzt der Aufsichtsrat des Berliner Flughafens steht und uns vorgeworfen wird, dass wir nicht besser nachgefragt und realistische Zeitpläne und Kostenkalkulationen verlangt haben.

Welchen Zeitplan halten Sie für realistisch?
Bleiben wir beim Beispiel Berlin. Der Flughafen ist fast fertig, aber es dauert wohl noch zwei Jahre, bis die letzen Korrekturen gemacht sind und er in Betrieb genommen werden kann. In Stuttgart wurde vor drei Jahren zum Projektstart ein Prellbock versetzt, seither ist aber noch nicht viel passiert, außer dass einiges abgerissen und Bäume gefällt wurden. Dennoch wird uns ständig versichert, das Projekt sei 2020 fertig. Mit etwas Realismus muss man sagen, 2025 wäre das schon extrem optimistisch kalkuliert. Es kann ja niemand wollen, dass wir bis 2030 eine Dauerbaustelle haben. Nicht weil wir schwergängig sind, sondern weil die Bahn es ist. Sie ist an den Verzögerungen schuld.

Hätten Sie das so erwartet?
Ich habe im Verkehrsausschuss viele Großprojekte der Bahn auf Bundesebene begleitet. Sie sind allesamt zeitlich und finanziell aus dem Ruder gelaufen. Das Projekt Stuttgart 21 ist deshalb so riskant, weil es nur funktioniert, wenn alles gleichzeitig fertig wird. Der Tiefbahnhof ist ohne die Neubaustrecke oder die Fildertrasse nicht nutzbar. Die notwendige Vollkommenheit in jedem Detail macht das Projekt so riskant. Und genau das ist der Bahn noch nie gelungen.

Sitzen die Projektkritiker jetzt am längeren Hebel im Lenkungskreis, weil sich mit Fritz Kuhn statt Wolfgang Schuster die Machtverhältnisse verschieben?
Der Lenkungskreis ist kein Gremium zur Beendigung von Stuttgart 21. Und der Lenkungskreis ist auch kein Aufsichtsrat. Er ist leider ein eher zahnloser Tiger mit wenigen echten Kontroll- und Informationsrechten. Das ist zwischen den damaligen Vertragspartnern leider so vereinbart worden. Wir werden das Verhalten der Bahn aber nicht mehr akzeptieren und unsere Rechte juristisch klären lassen.

Hat der Lenkungskreis dann überhaupt noch eine Zukunft oder müsste ein anderes Kontrollgremium mit mehr Befugnissen installiert werden?
Wir müssen, wie gesagt, auf jeden Fall klären, wie wir daraus ein funktionierendes Informationsgremium schaffen können – und das werden wir zur Not auch auf juristischem Weg einfordern. Wir haben unabhängig von Oberbürgermeisterwahlen und Aufsichtsratssitzungen das Recht, fundiert informiert zu werden. Abgesehen davon wäre es doch auch für den Aufsichtsrat von Bedeutung, was im Lenkungskreis besprochen und beschlossen wird. Wenn Stadt, Land und Region sagen, wir zahlen keinen Euro mehr als vereinbart, ist das eine klare Ansage an die Bahn, die der Aufsichtsrat bei seiner Entscheidungsfindung kennen muss.

Rechnet sich Stuttgart 21 noch für die Bahn? Ihr Vorstandschef Rüdiger Grube sagte vor drei Jahren, das Projekt sei nur bis 4,7 Milliarden Euro wirtschaftlich.
Also, gerade Herr Grube müsste rote Ohren bekommen. Ich erinnere daran, dass er uns vor der Volksabstimmung selber gezeigt hat, wie man auf dem Papier in drei Wochen 900 Millionen Euro aus dem Projekt einfach wegrechnen kann. Ich habe ihm schon damals erklärt, dass ich die Rechnung nicht nachvollziehen kann und die Zahlen sie wieder einholen werden. Genau das ist jetzt auch passiert.

Neben der Wirtschaftlichkeit muss der Aufsichtsrat auch der Frage nachgehen, ob die Mehrkosten durch die Volksabstimmung gedeckt sind. Wie sehen Sie das?
Ich glaube, dass die Volksabstimmung im Nachhinein vielfach missdeutet oder überhöht wird. Insbesondere von denen, die sie gar nicht wollten. Die Landesregierung hat keine Legitimation, aus dem Projekt auszusteigen. Das ist das Ergebnis der Abstimmung. Die Ansage war aber auch, dass es einen Deckel von 4,5 Milliarden Euro gibt und dass das Projekt genau gerechnet ist. Diese Legitimation zerbröselt zunehmend mit der eingeräumten Kostenexplosion. Wäre vorher bekannt gewesen, dass S 21 mindestens zwei Milliarden Euro mehr kostet, wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen.

Was passiert, wenn der Aufsichtsrat dem Vorschlag des Bahnvorstands nicht folgt und die Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro nicht übernommen werden?
Dann stellt sich in der Tat die spannende Frage, wie es weitergeht. Wir sind mitten in einem Prozess und können nicht einfach aufhören. Die Finanzierungsvereinbarung gilt immer noch, und sie hat einen klaren Rahmen. In dem Vertrag steht auch, dass man sich zusammensetzen muss, wenn das Geld nicht reicht. Daher haben wir die Sprechklausel gezogen. Wir sind bereit, über alles zu reden, wir werden aber keinen Euro mehr zahlen. In den 1,2 Milliarden, die von den Projektpartnern übernommen werden sollen, sind neben einer Reihe nicht nachvollziehbarer Kosten auch Posten aufgeführt, die von der Bahn schon vor dem Schlichtungsverfahren der alten Landesregierung versprochen worden sind, etwa das zweite Gleis zur Anbindung des Flughafenbahnhofs. Der Ball liegt jetzt ganz eindeutig bei der Bahn, beim Aufsichtsrat und beim Eigentümer. Sie müssen prüfen, ob das Projekt noch wirtschaftlich ist, ob sie es verantworten können, Stuttgart 21 trotz der enormen Mehrkosten so weiterzubauen. Diese Frage wird zudem auch die ganz hohe Spitze der Politik im Kanzleramt und im Verkehrsministerium, die das Projekt politisch gewollt haben, beantworten müssen.

Wie lautet Ihre Prognose?
Das Kaffeesatzlesen überlasse ich anderen. Ich kann nur so viel sagen: dass der Aufsichtsrat seine Sitzung abgebrochen und nicht über die Vorlage entschieden hat, ist ein einmaliger Vorgang, den es so noch nicht gegeben hat. Auch die Mitglieder des Aufsichtsrats waren erschrocken über die Zahlen und mit den Unterlagen nicht zufrieden. Ich hoffe, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind.