Die Drohung von Projektgegnern, Mitglieder des DB-Aufsichtsrats wegen drohender Mehrkosten für S 21 persönlich haftbar zu machen, zeigt offenbar Wirkung. Das Gremium hat neue Gutachten zu Kosten und Haftungsrisiken beauftragt.
Stuttgart - Das Gutachten der Verkehrsberatung Vieregg-Rössler, wonach die Kosten von Stuttgart 21 auf knapp 10 Milliarden Euro steigen könnten, hat am Dienstag im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG zu einer langen Debatte geführt. „Es gab eine sehr intensive Diskussion“, berichten Teilnehmer nach der achtstündigen Sitzung. Das 20-köpfige Kontrollgremium beschloss nach StZ-Informationen, die Kosten von S 21 und eigene Haftungsrisiken erneut extern überprüfen zu lassen.
Besonders die drei Staatssekretäre der Bundesregierung hätten demnach bessere Aufklärung zu den aktuell veranschlagten Kosten des Großprojekts verlangt. Der zuständige Bahn-Vizechef Volker Kefer erklärte darauf, mit den Wirtschaftsprüfern von PWC, die seit Jahren auch die DB-Bilanzen testieren, eine vertiefte Darstellung der Kosten und Risiken zu erstellen, die bis zur nächsten Sitzung des Aufsichtsrats im Juni vorliegen soll. „Natürlich soll ein Offenbarungseid für S 21 vermieden werden“, sagte ein Teilnehmer, „denn das wäre ein politisches Debakel für die Befürworter“.
Aufsichtsräte wollen nicht persönlich für Risiken haften
Allerdings beschloss das Gremium unter Leitung des Vorsitzenden Utz-Hellmuth Felcht auch, ein weiteres Gutachten zu vergeben, mit dem erneut auch die Haftungsrisiken für die Aufseher geprüft werden sollen. „Die Frage des Selbstschutzes spielt eine gewichtige Rolle“, so ein Sitzungsteilnehmer. Die persönlichen Schreiben der S-21-Kritiker an alle Aufsichtsräte zur korrekten Unternehmensführung und möglichen weiteren Strafanzeigen wegen Untreue hätten Unruhe ungelöst.
Die Bahnspitze sieht sich seit Jahren mit sehr heiklen Haftungsfragen konfrontiert. So zeigten interne DB-Papiere in den vergangenen Jahren wiederholt, dass der Konzern intern bereits früher mit weit höheren Kosten und Risiken bei S 21 rechnete. Schon beim Beschluss des Projekts Ende 2009 durch den DB-Aufsichtsrat war die nötige Wirtschaftlichkeit nur knapp gegeben. Damals wurde der Projektumfang noch mit 4,5 Milliarden Euro beziffert. Vor drei Jahren beschloss der DB-Aufsichtsrat dann den Weiterbau, obwohl zuvor eine weitere Kostenexplosion auf 5,6 Milliarden Euro eingeräumt werden musste und der Finanzierungsrahmen sogar auf gut 6,5 Milliarden Euro erhöht wurde.
Projektgegner drohen mit Klagen wegen Untreue
Die Kritiker des Aktionsbündnisses gegen S 21 haben seither mehrere Strafanzeigen wegen Verdachts der Untreue gegen Bahnchef Rüdiger Grube, Kefer, Felcht und andere Aufsichtsräte bei der Staatsanwaltschaft Berlin gestellt, die aber allesamt niedergeschlagen wurden. Der Sprecher des Bündnisses, der Jurist Eisenhart von Loeper, hat daraufhin die verantwortlichen Staatsanwälte wegen Strafvereitelung im Amt angezeigt und im Februar die Neuaufnahme der Ermittlungen beantragt. Nach seiner Ansicht beweisen Akten aus dem Kanzleramt, dass besonders die Staatssekretäre im Aufsichtsrat dem politischen Druck nachgegeben hätten, das Bahnprojekt weiterzubauen, obwohl dies für den Bahnkonzern unwirtschaftlich sei und die Ausstiegskosten schon damals geringer gewesen wären. Die Bahn bestreitet das.
Das neue Gutachten von Vieregg-Rössler bringt nun die DB und ihre Kontrolleure erneut unter Druck. Der Münchner Verkehrsexperte Martin Vieregg hatte bereits die letzte Kostensteigerung schon Jahre zuvor fast exakt berechnet. In einer weiteren Expertise für die Projektgegner kam seine Beratungsfirma im Februar zum Ergebnis, dass selbst jetzt noch ein Baustopp und ein Ausstieg bei S 21 und stattdessen der Ausbau bestehender Strecken und des bestehenden Kopfbahnhofs die Steuerzahler insgesamt 5,9 Milliarden Euro billiger käme. Das Aktionsbündnis hat im Februar alle 20 DB-Aufsichtsräte und den DB-Vorstand schriftlich über diese Studien informiert und vor Klagen wegen „strafbarer Untreue“ gewarnt, falls S 21 trotz der ermittelten Mehrkosten weiterverfolgt werde.