Die Deutsche Bahn nimmt beim Projekt Stuttgart 21 den vierten Anlauf für ihren in Untertürkheim geplanten Abstellbahnhof. Sie trifft dabei auf erhebliche Artenschutzprobleme – und erwägt daher einen Plan B.
Stuttgart - Einmal mehr könnte für die Deutsche Bahn beim Projekt Stuttgart 21 der Artenschutz zum Hemmschuh werden. Für den Bau des neuen Abstell- und Wartungsbahnhofs in Untertürkheim soll der alte Güterbahnhof genutzt werden, die Pläne dazu liegen seit Montag bei der Stadt in der Eberhardstraße 10 aus. Bis zum 12. August können sich laut Regierungspräsidium (RP) Bürger äußern und Einwände vortragen.
Auf der alten Gleisfläche zwischen Augsburger und Benzstraße in Untertürkheim vermutet der Schienenkonzern hochgerechnet 4350 Mauereidechsen. Die agilen Reptilien will die Bahn innerhalb des Stadtgebiets umsiedeln, und zwar auf Böschungen entlang der nach Kornwestheim führenden Schusterbahn. Ein Teil der Ersatzhabitate muss angekauft werden. Insgesamt haben die neuen Quartiere mit 4,7 Hektar einen unzureichenden Umfang, rund zehn wären nötig. „Für die Überbelegung und die damit verbundenen Verdrängungsprozesse“, so die Bahn, wird eine Ausnahmegenehmigung beantragt. Sollte es keine geben, sollen die Tiere auf der Baustelle bleiben.
Komplettumbau in Untertürkheim
Auf dem alten Gleisareal wird allerdings für den Neubau von 23 zwischen 400 und 800 Meter langen Gleisen kein Stein auf dem anderen bleiben. Ein Höhenunterschied von 2,60 Meter soll nivelliert werden. Die Eidechsen drohen, untergepflügt zu werden. „Der Tötung dieser Tiere werden wir sicher nicht zustimmen“, sagt Hans-Peter Kleemann, der Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) in Stuttgart. Einen Vorstandsbeschluss gebe es dazu nicht, und zu den speziellen, weil eingewanderten und genetisch vermischten Stuttgarter Echsen gebe es konträre Expertenmeinungen. Dennoch rät Kleemann, „nicht Evolution zu spielen, ich denke, die Tiere sind schützenswert“.
Kleemann sagt der Bahn im Zweifelsfall einen langwierigen Rechtsweg bis vor den Europäischen Gerichtshof voraus: „Zwei Jahre sind da nichts.“ Beginnen könnte er nach der Entscheidung des Eisenbahn-Bundesamtes (Eba), mit der die Bahn für Mitte 2020 rechnet. Von Mitte 2021 an soll gebaut werden. Bei einem späteren Start wäre der Zeitplan fürStuttgart 21 (Inbetriebnahme Ende 2025) kaum zu halten. Kleemann hält ihn für illusorisch. „Ich nehme nicht an, dass S 21 vor 2028 in Betrieb gehen wird“, sagt er.
Eidechsen in Stuttgart nicht rar
Die Mauereidechsen sind zwar streng geschützt, sie sind in Stuttgart aber nach Expertenmeinung nicht wirklich rar. Der Bestand liegt laut einer Untersuchung der Gruppe für ökologische Gutachten (GÖG) bei 140 000 erwachsenen Tieren. „Natürlich gilt der Artenschutz, aber eine stabile Population fängt bei 300 Tieren an“, hatte Umweltbürgermeister Peter Pätzold (Grüne) bei der Vorstellung des Gutachtens eine Art Freibrief für Bauherren formuliert.
Das von der Stadt beauftragte und auf den späteren Wohnungsbau auf dem S-21-Gelände gemünzte Gutachten gibt der Bahn ein Mittel an die Hand, den Artenschutz zu relativieren. Auch sie hat GÖG beauftragt. Der Eidechsenbestand sei hoch und weise eine „besondere Stabilität und Unempfindlichkeit gegenüber geringen Verlusten auf“, schreiben die Gutachter nun für die Bahn.
„Es gibt einen sehr ausführlichen Schriftwechsel zwischen dem Eba und der Bahn. Auch die Studie der Stadt scheint den Artenschutz nicht abzuräumen“, sagt Gerhard Pfeifer, Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) Region Stuttgart. Eine Ausnahme sei nicht einfach zu erreichen, die Klage stehe im Raum.
Flächen zur Umsiedlung sind knapp
Pfeifer bewertet die von der Bahn vorgeschlagene Nutzung von Böschungen entlang der Schusterbahn positiv. Aber die Flächen seien zu klein, die Bahn müsse und könne aus Sicht des BUND nachlegen, „denn auch wir wollen nicht, dass die Tiere getötet werden“. Ob der BUND eine Klage erwägt, hänge davon ab, ob die Bahn bereit sei, weitere Flächen zur Verfügung zu stellen. Dass die Bahn überhaupt noch Freiflächen für die Ansiedlung von Eidechsen aufgetan hat, erstaunt. Mangels geeigneter Gebiete stellte die Stadt 2017 eigene auf der Feuerbacher Heide bereit. Zuvor hatte die Landesregierung interveniert. 30 000 Quadratmeter Wiese wurden zum Ärger der Killesberg-Anwohner aufwendig mit Schotterbergen umgestaltet. Die neue Heimstatt galt damals als alternativlos.
Bahn bereitet Plan B vor
Erste Pläne für den Abstellbahnhof reichte die Bahn 2004 ein. Mehrfach dachten die Macher um. Der Bahnhof schließt das S-21-Ringsystem. Es sei „sehr wichtig für die betriebliche Vereinfachung“. Alternativlos ist er nicht. „Ohne Abstellbahnhof wird das Projekt nicht nicht in Betrieb gehen“, sagt S-21-Geschäftsführer Manfred Leger.
Eine Eskalation bis vor den Europäischen Gerichtshof will Leger nicht abwarten. Er hat einen Plan B. „Wir überlegen uns, was wir machen, wenn der Abstellbahnhof gar nicht gebaut werden könnte“, sagte der Projektchef am Rande der S-21-Lenkungskreissitzung unserer Zeitung. Nah- und einige Fernverkehrszüge könnten dann nicht in Stuttgart bereitgestellt und gewartet werden. Das müsste teils weit außerhalb geschehen. „Die Züge stehen dann an der falschen Stelle“, sagt Leger, „ aber das geht“.