Die Projektgegner bezeichnen den von der Bahn verkündeten Bau- und Vergabestopp als überfällig. Auch die Bundesregierung hat ihn als richtig bezeichnet.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Die Kritiker des Projekts Stuttgart 21 haben den am Dienstag von der Deutschen Bahn verhängten Bau- und Vergabestopp als "wichtiges Signal" für eine künftige Zusammenarbeit gewürdigt. Der Vorsitzende der Grünen-Ratsfraktion, Werner Wölfle, wies darauf hin, dass der Konzernchef Rüdiger Grube zwar nach der Schlichtung zugesagt hatte, keine Maßnahmen zu ergreifen, die etwaige bauliche Nachbesserungen infolge des vereinbarten Stresstests behindern könnten. "Wir hatten aber immer die Angst, dass doch heimlich Aufträge vergeben werden könnten", so Wölfle. "Die Bahn steht nach dem Regierungswechsel jetzt nicht mehr unter dem politischen Druck, das Projekt "als das am besten geplante und angeblich unumkehrbare bezeichnen zu müssen".

 

Bahn-Chef Grube hatte einen Bau- und Vergabestopp bisher stets abgelehnt. Dies auch mit dem Hinweis darauf, dass dadurch pro Monat rund zehn Millionen Euro an zusätzlichen Kosten anfielen. Die "laufzeitabhängigen Projektkosten" und die Preissteigerung von 1,5 Prozent verteuerten laut dem Verkehrskonzern Stuttgart 21 zudem jährlich um rund 40 Millionen Euro. In der Ende vergangenen Jahres unter der Regie von Heiner Geißler durchgeführten Schlichtung hatten Projektbefürworter und -gegner unterschiedliche Kosten für einen Projektausstieg formuliert: Die Bahn kam auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro, setzte dabei allerdings auch das Ende der Neubaustrecke voraus, und nannte zudem Sanierungskosten für den bestehenden Kopfbahnhof von rund 1,3 Milliarden, wovon allerdings nur 488 Millionen bis 2020 fällig wären.

Die Gegner haben in der Schlichtung indessen darauf hingewiesen, dass die 1,3 Milliarden "durch unterlassene Modernisierung und gezieltes Fahren auf Verschleiß" entstanden seien und insofern nicht als "Ausstiegskosten" berechnet werden könnten. Sie bezifferten den Preis für einen Projektabbruch auf etwa 500 Millionen Euro, die dann verloren wären.

Grün-Rot als Partner auf Augenhöhe

Dessen ungeachtet hat der Technikvorstand der Bahn, Volker Kefer, am Dienstag betont, auch mit der neuen Landesregierung vertrauensvoll zusammenarbeiten zu wollen. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) deutet diese Ankündigung so, dass Grün-Rot nicht als Gegner betrachtet werde, sondern als Partner auf Augenhöhe. Auch die Bundesregierung hat derweil den von der Bahn verkündeten Bau- und Vergabestopp als richtig bezeichnet. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) erklärte, die Bahn wolle die neue Position ihres Vertragspartners abwarten. Auch der Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler zeigte Verständnis für die Entscheidung. "Wenn die Bahn einen Baustopp verfügt, dann ist es okay", sagte er der Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung". Hannes Rockenbauch, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, zeigte sich erfreut. Es sei "erst mal ein Erfolg", die Forderung nach einem "grundsätzlichen Baustopp" bleibe bestehen.

Nach Ansicht von Hugo-Boss-Chef Claus-Dietrich Lahrs würde ein endgültiger Stopp des Bahnprojekts die Wirtschaft im Südwesten empfindlich treffen. "Stuttgart braucht einen modernen Bahnhof. Solche Dinge infrage zu stellen, wäre gleichzusetzen mit der Infragestellung des Standorts an sich", sagte der Vorstandsvorsitzende des Modekonzerns. Michael Föll, der scheidende Kreisvorsitzende der Stuttgarter CDU, war überrascht von der Entscheidung der Bahn - sie habe doch immer betont, wie teuer ein Baustopp sei. "Das ist aber die freie Entscheidung der Bahn - ich gehe jedenfalls davon aus, dass sie vertragstreu bleibt", so Michael Föll. Was die neue Regierung anbetrifft, so sei die Volksbefragung der erste Lackmustest: "Ich bin gespannt, ob die Regierung ihr Wort hält und die Bürger abstimmen lässt."

Andreas Reißig, der Kreisvorsitzende der Stuttgarter SPD, begrüßte die Entscheidung der Bahn. Welches Prozedere man für den Volksentscheid wähle, müsse mit den Grünen geklärt werden. Er selbst habe kein Problem damit, dass bei einem Volksentscheid zwangsläufig eine der beiden Regierungsparteien eine Niederlage erleiden würde: "Das ist der neue Politikstil, den wir angekündigt haben - eine solche Niederlage muss eine Partei aushalten, und SPD wie Grüne haben dazu ihre Bereitschaft signalisiert." Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Winfried Herrmann, forderte im Berliner "Tagesspiegel" bereits, das für S21 vorgesehene Geld in andere Vorhaben zu investieren: "Es gibt viele Projekte in Baden-Württemberg, die man schneller und besser bauen könnte."

Der Volksentscheid ist umstritten

Plan
Die SPD hat am 8. September 2010 einen Antrag auf einen landesweiten Volksentscheid über Stuttgart 21 beschlossen. Am 28. Oktober hat der Landtag mit den Stimmen von CDU und FDP den Antrag der SPD auf Volksabstimmung abgelehnt. Die Regierung war der Meinung, eine Volksabstimmung über ein Ausstiegsgesetz sei verfassungswidrig.

Verfassung
Die Artikel 59 und 60 der Landesverfassung regeln die Rahmenbedingungen für einen Volksentscheid. Gesetzesvorlagen werden von der Regierung, von Abgeordneten oder vom Volk durch Volksbegehren eingebracht. Ein Volksbegehren kommt zustande, wenn mindestens ein Sechstel der Wahlberechtigten es befürwortet. Wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtags es beantragt, kann die Regierung eine von ihr eingebrachte, aber vom Landtag abgelehnte Vorlage zur Volksabstimmung bringen. Das könnte nun geschehen.

Quorum
Es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Das Gesetz ist beschlossen, wenn mindestens 33,3 Prozent der Stimmberechtigten zustimmen.
(Jörg Nauke)