Viereinhalb Jahre nach dem offiziellen Start von Stuttgart 21 beginnen an diesem Dienstag die Arbeiten am Trog im Mittleren Schlossgarten im Baufeld 16. Doch nach wie vor fehlen wichtige Genehmigungen für das Projekt.

Stuttgart - An diesem Dienstag proklamiert die Bahn den Start der S-21-Bauarbeiten für den neuen Tiefbahnhof. Nach der von Bahnvorstand Volker Kefer mit viel Tamtam zelebrierten Ankündigung des Termins gibt es aber weder einen offiziellen Baggerbiss noch eine Feier mit Prominenten und Reden. Die Bahn will den Medien lediglich „die angelaufenen Hauptbaumaßnahmen zur Erstellung des Trogs vom neuen Stuttgarter Hauptbahnhof vorstellen“, wie es in einer Mitteilung heißt.

 

Losgehen sollen die auf 25 Felder verteilten Arbeiten im Bauabschnitt 16, der in etwa dort liegt, wo früher der Zentrale Omnibusbahnhof war. „Unmittelbar folgen“, so die Bahn, werden die Bauabschnitte 1 an der Jägerstraße (Nordkopf) und 25 an der Sängerstraße (Südkopf). Insgesamt wird der Trog fast 900 Meter lang, 80 Meter breit und 16 Meter tief. 1,8 Millionen Tonen Erde werden ausgegraben – im Schlossgarten entsteht das größte Loch Stuttgarts.

In einer Überblickskarte zeigen wir, an welchen Stellen derzeit wegen des Bahnprojekts Stuttgart 21 gebaut wird:


S21-Baustellen auf einer größeren Karte anzeigen

Die S-21-Gegner agieren dagegen in aller Öffentlichkeit. Die Parkschützer haben einen Aktionstag unter dem Motto „Bahnhofsbetrog“ ausgerufen – mit Blockaden um 6.30 Uhr, einer Banner-Menschenkette um den Bauzaun im Mittleren Schlossgarten von 9 bis 12 Uhr und einer Kundgebung um 18 Uhr vor dem Hauptbahnhof.

„Wir protestieren gegen die nächste Fassade im Potemkinschen Dorf namens Stuttgart 21“, sagt Matthias von Herrmann, der Sprecher der Parkschützer. Zugleich fordere man die Stadt auf, „sich gegenüber der Bahn durchzusetzen statt sich weiter von ihr zum Narren halten zu lassen“.

Die Stadt dürfe nicht weiter Schlamperei und Planungschaos der Bahn mit immer neuen Ausnahmegenehmigungen decken, meint er – und nennt als Beispiel, dass die Baulogistikstraße noch nicht fertig sei, sodass die Erdlaster mit städtischer Erlaubnis in den kommenden Wochen zunächst öffentliche Straßen benutzten.

Blick vom Bahnhofsturm auf die Baustelle:

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Auch auf der Montagsdemonstration wurde der „Spatenstich ohne Baulogistikstraße“ vor rund 1500 Kundgebungsteilnehmern scharf kritisiert und ein „sofortiger Transportstopp durch die Wohngebiete“, vor allem das Nordbahnhofviertel, gefordert. Der Redner Hans-Jörg Jäkel warf der Bahn vor, gegen die Bestimmungen des Planfeststellungsbeschlusses zu verstoßen, die eine funktionierende Baulogistik vorschreiben würden.

Termine haben sich immer wieder verschoben

Das – von der Bahn eingestandene – Problem mit der noch nicht fertigen Logistikstraße ist nur eines von mehreren, die den Beginn der Bauarbeiten in der Innenstadt begleiten. Dazu gehören auch die noch nicht abgeschlossenen Planverfahren für diesen Bereich. Für den Nesenbachabwasserkanal und die erhöhte Grundwasserentnahme stehen die Genehmigungen des Eisenbahnbundesamts (EBA) noch aus. Auch das Brandschutzkonzept für den Tiefbahnhof befindet sich weiter in der Abstimmung mit den Experten des Regierungspräsidiums, der Feuerwehr und des EBA. Früher hoffte die Bahn, dass sie die Genehmigung in diesem Sommer erhält, jetzt nennt sie Mitte 2015. Den von ihr selbst angekündigten Termin, das Konzept noch vor der Sommerpause dem Technik-Ausschuss des Gemeinderats vorzustellen, ließ sie verstreichen.

Fragen zu den Genehmigungsverfahren und zum Ablauf der Baustelle wollte das Kommunikationsbüro im Vorfeld des heutigen Tags gegenüber der Stuttgarter Zeitung nicht beantworten. Ungeklärt bleibt damit, warum in den vom Kommunikationsbüro vorgestellten offiziellen Bahnunterlagen, die unter www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de einsehbar sind, verschiedene Termine und Abläufe genannt werden und welche Auswirkungen die Veränderungen haben. So kommunizierte die Bahn vor knapp einem Jahr unter dem Titel „Baustart in den nächsten zwölf Monaten“, dass die Hauptarbeiten für die Baugrube 16 im Juni 2014 und die für den Nesenbachdüker schon im Dezember 2013 beginnen sollten. Ende März 2014 wurde unter der Überschrift „Wesentliche Bauarbeiten in 2014“ informiert, dass die Baugrube 16 und der Dükerbau im Juni angegangen werden sollen. In der aktuellsten Auflistung von Anfang Juli sind für die Baugrube 16 der August und für den Dükerbau der Oktober als Beginn vorgesehen. Dafür rutschte der Start für die Baugrube 1 am Nordkopf vom März 2014 in die zweite Januarhälfte des kommenden Jahres.

BUND warnen vor Gefahren fürs Mineralwasser

Offen ist auch, nach welchen Plänen der Nesenbachabwasserkanal gebaut wird. Fragen danach beschied das Kommunikationsbüro mit dem lapidaren Hinweis, dass dies noch erläutert werde. Dabei wurde der Bau des Nesenbachabwasserkanals schon im Januar 2005 genehmigt – allerdings in einer Bauweise mit Druckluftvortrieb, die die Firma Züblin, die den Zuschlag für die Arbeiten in der Innenstadt erhielt, nicht realisieren wollte. Deshalb beantragte die Bahn eine Planänderung, in der der Kanal zwar um 60 Meter verkürzt, aber nun in offener Bauweise erstellt wird. Auch dagegen erhebt sich Kritik. So moniert der BUND, dass der Düker durch seine Lage unter dem Trog am gefährlichsten in die schützenden Deckschichten der Mineralwasservorkommen schneide. Der Umweltverband und die S-21-kritischen Ingenieure 22 befürchten zudem, dass die Gefahr von Rückstauungen und Überschwemmungen steige und die von der Stadt zu tragenden Kosten für die Reinigung sich bis auf eine halbe Million Euro pro Jahr summieren könnten. Das städtische Tiefbauamt und die Bahn weisen all diese Befürchtungen zurück. Wann der Dükerbau vom EBA genehmigt wird, ist offen. Das Amt für Umweltschutz erwartet noch Prüfungen für eine wasserwirtschaftliche Bewertung. „Diese Berechnungen liegen noch nicht vor“, erklärte jüngst Minister Winfried Hermann (Grüne).

Anwohner fordern Schallschutz ein

Mit großen Befürchtungen sehen die in Netzwerken zusammen geschlossenen Anwohner dem Baustart mit Arbeitszeiten von 7 bis 20 Uhr entgegen. „Es ist nur ein Bruchteil des Schallschutzprogramms für das Kernerviertel umgesetzt“, beklagt Sprecher Frank Schweizer. Ganz anders dagegen die Stimmung beim Architekten Christoph Ingenhoven. Dies sei der Beginn der Arbeiten an seinem Baby, sagte er der Nachrichtenagentur dpa erfreut.

In einer Überblicksarte zeigen wir, an welchen Stellen derzeit wegen des Bahnprojekts Stuttgart 21 gebaut wird:


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Was bisher im Schlossgarten geschah

Chronik
Die S-21-Bauarbeiten haben offiziell am 2. Februar 2010 begonnen – mit der Versetzung des Prellbocks 49. Es folgten der Abriss des Nord- und Südflügels sowie der „schwarze Donnerstag“ im Schlossgarten, als im Herbst 2010 die ersten Bäume gefällt wurden. Wie sich der Park veränderte, zeigen die oben stehenden Aufnahmen.

Arbeiten
Nach Angaben der Bahn sind folgende Arbeiten erledigt worden: Baumversetzungen und –fällungen, Errichtung der Baustelleneinrichtung, Versetzen von Kulturdenkmälern, Abbruch Landespavillon, Leitungsverlegungen, Kampfmittelsondierung, Versuche zur Ermittlung der Bodenfestigkeit, statische Probebelastungen von Betonbohr- und Rammpfählen, Aufbau Rohrleitung für das Grundwassermanagement, Herstellung der Baustraßen und Aufbau des Förderbands.

Kritik
Gegner von Stuttgart 21 bemängeln, dass die Bahn nach der Fällung der Bäume und der Umzäunung des Baugeländes nur langsam die Arbeiten vorangetrieben und die Nutzung des Parks zu früh eingeschränkt habe. Der Verdacht ist, dass man im Vorfeld der Debatten um Finanzen, Zeitplan und der noch ausstehenden Genehmigungen Fakten habe schaffen und das Projekt insgesamt unumkehrbar habe machen wollen.