Es gibt doch noch keine Rechtsgrundlage für die spätere Beseitigung des Gleisvorfelds. Die Stuttgarter Netz AG leistet Widerstand.

Stuttgart - Die Bahn und die Stadt Stuttgart haben ihr 460-Millionen-Euro-Geschäft mit den Grundstücken hinterm Hauptbahnhof unter der falschen Annahme geschlossen, der vollständige Rückbau der bei Stuttgart 21 freiwerdenden Gleisanlage sei bereits genehmigt und niemand könne mehr dagegen Einspruch und einen Anspruch auf deren Weiterbetrieb erheben. Die Bahn hat nun ihre Auffassung korrigiert: Auf StZ-Anfrage teilte sie mit, der vollständige Rückbau sei doch nicht Gegenstand des Antrags im Planfeststellungsverfahren (1.1.) gewesen und müsse deshalb gesondert beantragt werden.

 

Allerdings bleibt die Bahn bei ihrer Auffassung, sie verlagere den Bahnhof nur von oben nach unten, weshalb sie kein gesondertes Stilllegungsverfahren beantragen müsse. Nachdem auch das Eisenbahnbundesamt (Eba) die Notwendigkeit eines separaten Verfahrens bestätigte, steht die Stadt mit ihrer Haltung alleine, der Planfeststellungsbeschluss für den Tiefbahnhof entfalte eine "Konzentrationswirkung" für alle wichtigen Folgemaßnahmen, weshalb der Abriss der Gleise inbegriffen sei.

Die Bahn sieht nun zwei Möglichkeiten, die Genehmigung für den nach Fertigstellung des Tiefbahnhofs geplanten Abriss des Gleisfeldes zu erhalten: Entweder sie beantragt dafür ein Planfeststellungsverfahren oder sie fordert die "Freistellung von Bahnbetriebszwecken" und baut dann zurück. Letzteres setzt allerdings voraus, dass das Eisenbahnbundesamt feststellt, ob dort andere Unternehmen als die BahnAG Züge fahren lassen würden. Das könnte zum Problem der S-21-Macher werden, deren Hauptargument die Möglichkeit der Vermarktung freiwerdender Innenstadtflächen ist. Denn einige Privatbahnen haben Interesse an einer Fortsetzung des oberirdischen Bahnhofsbetriebs und wollen den Erhalt der Anlagen für Fern-, Regional- und Güterzüge notfalls vor Gericht durchsetzen. Hätten sie Erfolg, gäbe es am Ende möglicherweise zwei Bahnhöfe: einen oben und einen unten. Die Kombi-Variante von Heiner Geißler lässt grüßen.

Die Privatbahnen sehen das Recht auf ihrer Seite

Der Widerstand hat sich in der Sophienstraße26 eingerichtet. Dort sitzt die Stuttgarter Netz AG (SNAG) in Gründung, die nun die Zulassung als Eisenbahninfrastruktur-Unternehmen beantragen und per Feststellungsklage ihre Chancen auslosten will - schließlich ist der Rückbau frühestens 2020 geplant. Gesellschafter der SNAG sind unter anderem die Aschaffenburger NBE Group und die SIS in Ellwangen. Aufsichtsratschef ist der Jurist und Bahnexperte Alexander Kirfel. Er leitet das Netzwerk Privatbahnen, das in Berlin die Interessen von rund 30 Güterbahnen vertritt.

Die Privatbahnen sehen das Recht auf ihrer Seite. Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) regelt streng die Stilllegung und Entwidmung von Bahnstrecken, und das aus gutem Grund: Nach der Bahnreform wollte die Politik verhindern, dass die neue AG sich wenig rentabler Strecken entledigt und das Netz zu sehr ausdünnt. Denn der Bahntochter DB Netz gehört der größte Teil der Schienen, mehr als 34.000 Kilometer und mehr als 5000 Bahnhöfe. Das zweistufige Gesetzesverfahren schreibt vor, dass Stationen und Strecken grundsätzlich ausgeschrieben werden müssen, wenn die Bahn keinen Bedarf mehr dafür sieht.

Findet sich ein Interessent, ist keine Stilllegung und keine Freistellung von Bahnbetriebszwecken mehr möglich und ihm sind Bahnhöfe und Strecken zu übergeben. Genau darauf will die Netz AG pochen. Aufsichtsratschef Kirfel sagte, mit der Aussage, wohl die Freistellung der Grundstücke beantragen zu müssen, scheine die Bahn endlich zu verstehen, um was es gehe. Gegen den Vorschlag eines Planfeststellungsverfahrens für den Rückbau würde man juristisch vorgehen; dieses Verfahren berge den Nachteil, dass keine bundesweite Bekanntmachung erfolgen müsse und das Verfahren dann nicht öffentlich werde. Juristisch klären wolle man zuerst die Frage, ob der Rückbau von Gleisen einer Stilllegung gleichkomme. Träfe dies zu, wäre eine Ausschreibung zwingend.

Auf Unverständnis stößt bei Kirfel die Aussage der Stadt, es gebe für einen oberirdischen Bahnhof "kein Verkehrsbedürfnis" mehr. "Darüber entscheidet nicht die Stadt, sondern das wird durch Eisenbahnverkehrsunternehmen begründet, die die Infrastruktur weiter nutzen wollen." Für den Netz-AG-Repräsentanten steht fest: "Die Stadt Stuttgart hat für 460 Millionen Euro Grundstücke gekauft, die für sie wegen der bestehenden eisenbahnrechtlichen Widmung wertlos sind."

Lange Gesichter bei Kommunen im Rheinland

Urteil Die Orte Reichshof, Waldbröl und Wiehl im Rheinland hatten die stillgelegte Bahnstrecke zwischen Osberghausen, Waldbröl und Morsbach gekauft mit dem Ziel, die Flächen zu entwidmen und anderweitig zu nutzen. Die Rhein-Sieg Eisenbahn (RSE) wollte die Infrastruktur aber weiter nutzen. Die Verwaltungsrichter sahen die RSE im Recht. Auch eine Klage von Morsbach gegen den Weiterbetrieb wurde abgelehnt.

Verkehrsbedürfnis Die Entwidmung von Bahnanlagen ist unzulässig, wenn es "ein irgend geartetes Verkehrsbedürfnis" für die Strecken gibt. Vorgeschaltet werden muss ein Stilllegungsverfahren, um ein Übernahmeinteresse Dritter zu ermitteln. Melden sich Interessierte oder machen Eisenbahnen wie im Falle der Wiehltalbahn ein Verkehrsbedürfnis geltend, ist die Strecke weiter zu betreiben und eine Stilllegung nicht möglich.

Streitfall Bei S 21 ist strittig, ob es sich um eine Stilllegung oder nur um einen Neu- und Umbau handelt, wenn Bahnhof und Gleise in Tunneln verschwinden. Laut der Netz AG handelt es sich beim Rückbau des Kopfbahnhofes und von Streckenteilen eindeutig um eine Stilllegung einer in Betrieb stehenden Strecke, die nicht über ein einfaches Planfeststellungsverfahren abgewickelt werden kann. Das sieht die Bahn jetzt auch so.