Unterschiedliche Angaben zum Stand der Arbeiten für Stuttgart 21 im Untergrund stiften Verwirrung. Nun will die Bahn ihre Zahlen überarbeiten. Das Erreichen der 10-Kilometer-Marke blieb wegen des Durcheinanders unbemerkt.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Ja, wo graben sie denn?“, möchte man in Anlehnung an Loriot rufen. Lärmgeplagte Baustellenanwohner von Stuttgart 21 werden antworten: „Dort, wo es laut ist.“ Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Selbst die Fachleute der Bahn haben sich zuletzt im kilometerlangen Stuttgarter Tunnelgeflecht verheddert.

 

Dabei hatte sich die Bahn alle Mühe gegeben, die so oft von ihr geforderte und mindestens ebenso oft vermisste Transparenz herzustellen. Jeweils zum Anfang der Woche veröffentlichte sie auf der Internetseite des Projekts, wie weit die Mineure in den einzelnen Tunneln vorangekommen sind. Die Einzelleistungen wurden unterm Strich zusammengezählt. Für den 28. September 2015 etwa stand auf der Projektseite zu lesen, alles in allem seien 8605,52 Meter von insgesamt 59 090 Metern gegraben. Allerdings informierte Florian Bitzer von der Bahn-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) Stadträte Mitte Oktober über den Stand der Arbeiten und gab für den Stichtag 28. September plötzlich 9580 Meter an. Ein Unterschied von satten 974,48 Metern. Und statt bei den auf der Webseite angegebenen 59 Kilometern sieht Bitzer auch bereits nach 57 Kilometern im Stuttgarter Untergrund Licht am Ende der Tunnel. Am Ratstisch blieb das unbemerkt. Doch eine Nachfrage führte schließlich bei der PSU zu emsigem Nachrechnen – und einem Erklärungsversuch, wie das Zahlenwirrwarr zu beenden sei.

Zehn-Kilometer-Marke ist geknackt

Wichtig ist der Bahn die Festellung, dass die von Bitzer im Rathaus präsentierten Zahlen dem tatsächlichen Stand der Arbeiten entsprechen – und dass im Oktober bereits die Zehn-Kilometer-Marke geknackt worden ist. Aktuell summieren sich alle unterirdischen Bauwerke auf 10 264 Meter. Das 10-Kilometer-Etappenziel wollte PSU-Chef Manfred Leger spätestens zum Jahresende 2015 erreicht haben. Die Freude über das flottere Vorankommen will sich der Wirtschaftsingenieur auch nicht durch die Verwirrung um die Zahlen nehmen lassen. „Es ist eine großartige Leistung aller Mitarbeiter und beteiligter Baufirmen, dass wir dieses Zwischenziel in einem schwierigen Umfeld nun bereits im Oktober übertroffen haben“, erklärt Leger.

Die Abweichung der Zahlen begründet die Bahn mit einer Ergänzung der Werte. Neu hinzugezählt werden von einer Aktualisierung am frühen Mittwochmorgen an auch jene Arbeiten, „die für die Herstellung und für die spätere Inbetriebnahme notwendig sind. Dazu gehören alle Verbindungsbauwerke, Zugangsstollen, Rettungszufahrten, Zwischenangriffe und in offener Bauweise erstellte Abschnitte“, erklärt ein Sprecher der Projektgesellschaft. Bisher addierte die Bahn nur jene Tunnelmeter, durch die später auch einmal Züge rollen sollen. Dieses Nachrechnen hat erheblichen Einfluss auf die Zahlen. Nach alter Lesart hätten sich die Mineure Anfang dieser Woche rund 9250 Meter durch den Untergrund gegraben, gesprengt und gebohrt. Nach Umstellung der Datenerhebung steht die Rechnung bei den schon erwähnten 10 264 Metern.

Tunnelbohrmaschine steht weiter still

Sorgenkind bleibt allerdings die Tunnelbohrmaschine, die den Fildertunnel von der City Richtung Flughafen herstellt. An ihr war ein Bauteil gebrochen, so dass der 2000-Tonnen-Koloss auch in der vergangenen Woche keinen einzigen Meter geschafft hat. Die Maschine steht im Untergrund am südlichen Ortsrand von Degerloch und wird repariert.

Solche Rückschläge bremsen Leger nicht. Zum Jahresende sei bei Stuttgart 21 und an der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm rund ein Drittel der Tunnel im Rohbau fertig, prognostizierte er Mitte Oktober. In der ersten Novemberwoche feiert die Bahn etwa den Durchstich des rund 4850 Meter langen Steinbühltunnels ins Filstal. Dort haben die Mineure freilich schon die letzten Meter geschafft, der Akt vor geladenen Gästen hat eher symbolischen Charakter. Die Bahn feiert aber auch, schneller zu sein als prognostiziert. Schon ätzen Kritiker angesichts des Tempos, die Bahn merke hoffentlich, wenn alle Tunnel gebaut sind.