Die ehemalige Bahndirektion an der Heilbronner Straße steht nur noch auf wenigen Stützen in der Baugrube, in der die Bahn Tunnel für Stuttgart 21 baut. Ungemach droht dem Gebäude aus der Nachbarschaft.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - In unmittelbarer Nähe zum Stuttgarter Hauptbahnhof hängen 15 000 Tonnen in der Luft. Soviel bringt der Torso der ehemaligen Bahndirektion auf die Waage. Die stadtbildprägende Fassade und der Gebäuderest zur Jägerstraße hin ruht nur noch auf wenigen Stützen, zwischen denen die Baugrube für einen Stuttgart-21-Tunnel ausgehoben wird. Die Arbeiten sind mittlerweile soweit fortgeschritten, dass unter dem denkmalgeschützten Gebäude große Bagger und Lastwagen problemlos rangieren können. Und es geht weiter abwärts: Der Baugrund wird einmal elf Meter unter der Gebäudeunterkante liegen.

 

Eine mehr als ein Meter dicke Betonplatte eingezogen

Das große Baggern ist aber relativ simpel im Vergleich zu dem, was die Mannschaft von S-21-Abschnittsleiter Michael Pradel in den vergangenen Monaten in und unter dem historischen Gebäude zuwege gebracht hat. Zunächst bohrte sie 500 nur 20 Zentimeter im Durchmesser starke Pfähle aus dem Kellergeschoss in den Untergrund. Danach entfernten die Bauarbeiter das Erdreich und ersetzen es durch eine gut 1,3 Meter dicke Platte, in die rund 1000 Kubikmeter Beton flossen und die das Gewicht des Gebäudes abfängt. Diese Platte wiederum ruht nun nur noch auf wenigen Pfeilern. „Diese Lastumlagerung war sicherlich der komplexeste Abschnitt des Vorhabens“, sagt Michael Pradel von der Bahn-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm.

Die zehn wichtigsten Fakten zu Stuttgart 21 sehen Sie im Video:

Der Bauingenieur unterstreicht, dass das Verfahren durchaus erprobt ist und keinesfalls zum ersten Mal angewendet wird. Pradel selbst hat mit dieser Technik etwa der Staatsbibliothek zu Berlin zu mehr Kellerflächen verholfen. Gleichwohl machen alle Beteiligten keinen Hehl daraus, dass es einen gewissen Aufwand bedeutet, so mit dem Gebäuderest umzugehen, dessen rückwärtige Anbauten zur Jägerstraße hin längst abgerissen sind. Pradel hätte sich auch für den vorderen Flügel einen Abriss und späteren Wiederaufbau vorstellen können. Doch dabei wollte die Stadt Stuttgart nicht mitmachen und beharrte auf den Teilerhalt des Gebäudes, das in den Jahren 1911 und 1912 nach den Plänen des Königlichen Baurats Martin Mayer entstand. Auf 50 Millionen Euro taxiert Pradel die Kosten für das nun gewählte Verfahren. Darin eingeschlossen ist auch der Abbau, die Einlagerung und der spätere Wiederaufbau des Portikus zur Heilbronner Straße hin.

Messgeräte behalten den Torso im Visier

Auf den Stützen halten starke Hydraulikpressen das Gebäude im Gleichgewicht. Jede davon kann zwischen 600 und 800 Tonnen heben, insgesamt stemmt das Pressennetzwerk 20 000 Tonnen in die Höhe. Externe Messgeräte nehmen den Gebäudetorso unentwegt ins Visier und sollen auch kleinste Bewegungen des Bauwerks registrieren. „Setzungen wären unschädlich“, sagt Bernd Mehlig, beim Baukonzern Züblin zuständiger Projektleiter. „Schiefstellungen wären hingegen ein Problem“, so der Ingenieur, also dann, wenn sich das Gebäude nur zu einer Seite neigen würde. In diesem Fall kann über ein Steuerpult im Inneren des Gebäudes jede einzelne Presse in Gang gesetzt werden und das Gebäude wieder ins Lot bringen. Das sei bislang aber nicht nötig gewesen. Einzelne Wände im Gebäude seien mit einem sogenannten Erdbebenputz verstärkt worden, lediglich eine Zwischendecke, die einen alten Brandschaden aufwies, habe man entfernt, erklärt Pradel.

In den nächsten Arbeitsschritten soll nun die Grube unter der Bahndirektion weiter ausgehoben und dann mit dem Tunnelbau begonnen werden. Die Röhren bilden den Übergangsbereich zwischen der eigentlichen Bahnsteighalle und den Tunneln nach Feuerbach und Bad Cannstatt, die unter dem Kriegsberg abtauchen. Der wenige Zentimeter breite Raum zwischen Tunnelober- und Gebäudeunterkante wird in einem letzte Schritt mit Beton verfüllt, das Gewicht der Bahndirektion lastet dann auf den Eisenbahnröhren, die Pressen können demontiert werden.

Pläne für Gebäude und angrenzendes Grundstück

2019 soll das Gebäude wie auch die Fläche zur Jägerstraße den Besitzern übergeben werden, der Stuttgarter Projektentwicklungsgesellschaft W2. Die kann sich dort einen Mix aus Büros, Handel, Gastronomie und einem Hotel auf bis zu 50 000 Quadratmeter Geschossfläche vorstellen (wir berichteten). Pradel und Mehlig verweisen darauf, schon deshalb mit dem Gebäude schonend umgehen zu wollen. Eine Haltung, die sich nicht alle zu eigen machen. Auf dem Dach eines benachbarten Parkhauses treffen sich zuweilen begeisterte Hobby-Fahrradhockeyspieler. Denen scheint der eine oder andere Schuss daneben zu gehen – was kaputte Scheiben an der Bahndirektion zur Folge hat. „Denen haben wir nun schon zwei Mal die Leviten gelesen“, berichtet Michael Pradel.