Seitdem die Stadtbahntrasse an der Staatsgalerie wegen Bauarbeiten gesperrt ist, wird der Charlottenplatz deutlich weniger frequentiert. Die SSB soll Umsatzeinbußen von nicht mehr als 5 Prozent versprochen haben. Die Kioske berichten vom Zehnfachen.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Selbst die Bettler kommen nicht mehr. Seit die Stadtbahntrasse zur Staatsgalerie wegen Stuttgart-21-Bauarbeiten gesperrt ist, wirkt der einstmalige Verkehrsknotenpunkt des ÖPNV, die Haltestelle Charlottenplatz, bisweilen wie ausgestorben. Da kaum noch Laufkundschaft kommt, bangen die Kioske und andere Anrainer um ihre Existenz. Sie fühlen sich von dem Bauherrn, der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), veräppelt.

 

Sein Chef sei gerade nicht da, sagt Edwin Geppert, Angestellter beim Kiosk Berner I, gegenüber des Kiosk Berner II, die allerdings unterschiedliche Pächter haben. Doch auch Geppert ist natürlich betroffen davon, dass der Charlottenplatz seit dem Baustellenbeginn an der Staatsgalerie deutlich weniger Publikumsverkehr zu verzeichnen hat und beginnt zu schimpfen.

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Kioskchef in der Kneipe nebenan

„Erst hieß es, die Baustelle endet im August. Jetzt müssen wir bis Dezember mit der Situation klarkommen.“ In der Tat kam es bei den Bauarbeiten zu Verzögerungen. Früher seien hier bis zu 700 Kunden täglich gekommen. „Heute machen wir 40, 50 Prozent weniger Umsatz als damals“, sagt Geppert.

Keinen Steinwurf entfernt befindet sich der Wikinger – eine Kneipe. Auch hier scheint am frühen Nachmittag weniger los zu sein als üblich. Und auch hier ist der Chef nicht da. Dafür aber Ulrich Berner, der Kioskchef vom Berner I, der vom Finanzdruck sichtlich angespannt am Tresen sitzt – die Stirn sorgenvoll gerunzelt.

Zehnfache Umsatzeinbußen

„Ich komme grad so über die Runden“, sagt Berner. Aktuell lebe er auch von Reserven. Nur dank seiner treuen Stammkundschaft lohne es sich überhaupt noch, den Laden zu öffnen. „Die Umsteiger am Charlottenplatz sind fast alle weggefallen“, sagt Berner weiter.

Der Umsatzeinbruch habe ihn eiskalt erwischt: „Bei einer Infoveranstaltung im Dezember 2015 sagte die SSB, dass wir vielleicht mit fünf Prozent Umsatzeinbußen zu rechnen hätten.“ Tatsächlich ist es offenbar fast das Zehnfache.

Selbst Bettler bleiben weg

Seitdem habe es keine direkte Kommunikation seitens des Verkehrsunternehmens gegeben. „Von Verzögerung der Baustelle von August aus Dezember habe ich aus der Zeitung erfahren“, sagt Berner. Jetzt hofft er nur noch, dass es keine weiteren Verzögerungen gibt.

Eine Franchise-Nehmerin der Bäckereikette Sternenbäck habe bereits aufgegeben. Der Konzern führe die Filiale jetzt zwar weiter, da sich der Standort nach der Streckensperrung womöglich wieder lohnen könne. „Aber dass die jetzt sogar samstags geschlossen haben, sagt ja wohl alles über den Standort hier“, sagt Berner. „Nicht mal die Bettler kommen mehr.“

Sogar in Feuerbach mehr los

Mittlerweile hat auch der Kellner im Wikinger seinen Chef telefonisch erreicht. Stergios Sismanidis hat wahrscheinlich noch mehr Stammpublikum als die Kioske. Darum trifft den Wirt der geschwundene Publikumsverkehr nicht ganz so hart. „Seit der Baustelle verzeichnen wir 20 bis 30 Prozent weniger Umsatz als zuvor“ sagt Sismanidis. Besonders tagsüber seien kaum noch Gäste da.

Auf dem Weg zum gegenüber liegenden Gleis, wo sich der Kiosk Berner II befindet, steht Julius Kalocski in der Unterführung. Seit drei Jahren verkauft er hier die Obdachlosen-Zeitung Trott-war. „Es ist schwieriger geworden hier“, sagt auch er. Glücklicherweise verkaufe er auch noch an anderen Standort: In Vaihingen und Feuerbach an den Bahnhöfen, sogar dort sei es besser.

Auch kein Fußballgeschäft mehr

Thomas Bank, Mitarbeiter beim Berner II, kann den Standort nicht so einfach wechseln. „Wir haben durch die Baustelle bestimmt 50 Prozent Umsatzeinbußen“, sagt er. Selbst das rentable Fußballgeschäft, wenn der VfB daheim spielt und die Fans die Mercedes-Benz-Arena mit der Linie U11 anfahren, sei einfach weggebrochen: „Die Roten haben rausgekriegt, das es geschickter ist, direkt am Hauptbahnhof einzusteigen.“

Insgesamt sei alles „eine Katastrophe“. Und daran, dass ab Dezember wieder Normalität einkehre, wenn die Baustelle fertig geworden ist, glaubt Bank auch nicht: „Das haben wir jetzt doch wirklich bei genug Großbaustellen gesehen.“

SSB-Mitarbeiter schieben ruhige Kugel

Einzig in der Zweigstelle der SSB am Charlottenplatz scheint keine große Verzweiflung zu herrschen. Hier muss man am Schalter entgegen aller Gewohnheiten überhaupt nicht mehr warten. „Das Arbeiten hier ist in letzter Zeit schon sehr locker“, sagt eine SSB-Mitarbeiterin gegenüber unserer Zeitung, ohne zu wissen, mit wem sie da spricht.

Der SSB-Sprecherin Birte Schaper seien die Probleme, die offenbar am Charlottenplatz herrschen, noch nicht zu Ohren gekommen: „Bei unserer gemeinsamen Versammlung haben wir den Anrainern gesagt, dass sie sich bitte an uns wenden sollen, wenn es schlimme Umsatzeinbußen zu verzeichnen gebe.“ Das habe bis jetzt niemand getan.

Außerdem stimme es auch nicht, dass die SSB darüber Prognosen abgegeben habe. „Wir haben lediglich kommuniziert, dass im gesamten Netz mit fünf Prozent weniger Fahrgästen zu rechnen ist“, sagt Schaper. Auf Dauer sei eher das Gegenteil der Fall: „Nach unserem aktuellen Netzplan 2018 soll der Charlottenplatz wieder ein Hauptumstiegspunkt werden.“ Für den einen oder anderen Mieter ist das vielleicht ein Hoffnungsschimmer.