Bei den fixen Ausgeben rückt die Obergrenze von 4,526 Milliarden Euro für Stuttgart 21 immer näher. Darüber hinaus fehlt eine Finanzierung.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Der Bahn-Chef Rüdiger Grube hatte am 30. Juli vergangenen Jahres in Stuttgart eine unangenehme Aufgabe zu erledigen. Es tagte der Lenkungskreis, das höchste Gremium der vier Projektpartner von Stuttgart 21 aus Vertretern von Bahn, Land, Stadt und Region Stuttgart. Dereinstige Projektleiter Hany Azer hatte der Runde Unerfreuliches in Sachen Kostenentwicklung zu berichten. Unter Punkt fünf der Sitzung, Sachstand offene Punkte, führen bahninterne Unterlagen, die der Stuttgarter Zeitung vorliegen, vier nötige Zusatzmaßnahmen auf. Die Mehrkosten dafür belaufen sich auf rund 78 Millionen Euro. Auf Seite 25 des Sitzungspapiers heißt es explizit, dadurch erhöhten sich die Gesamtkosten für die Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart auf 4,166 Milliarden Euro. Und weitere Mehrausgaben zeichnen sich bereits jetzt ab.

 

Offiziell aber haben die Projektpartner bis heute die Kosten nicht korrigiert. Vielmehr hat die Bahn zuletzt immer wieder betont, es gälten weiter die - ohne Berücksichtigung des Risikopuffers - vereinbarten 4,088 Milliarden Euro. Bestätigt sieht sich das Unternehmen nach eigenen Angaben überdies durch die bereits zu 25 Prozent erfolgten Auftragsvergaben, zuletzt für zwei große Tunnelbauten. Demnach sei alles im Rahmen, hieß es.

Einige Punkte fehlen bis heute

Dabei hatten Bahn-Experten im vergangenen Jahr ausdrücklich die Aufnahme der Mehrkosten in den Projektumfang von Stuttgart 21 beantragt und dafür vier Beschlussvorschläge formuliert und der Runde vorgelegt. Das "Ergebnisprotokoll" der Sitzung, das der StZ ebenfalls vorliegt, lässt darauf schließen, dass die eigentlich nötige Kostenanpassung zu einem unpassenden Zeitpunkt gekommen wäre: Schließlich war das Projekt erst im Dezember 2009 im Umfang von 4,088 Milliarden Euro beschlossen worden. Und kurz zuvor hatten die Projektbetreiber bereits Mehrkosten von einer Milliarde Euro eingestehen müssen. Eine erneute Korrektur der Baukosten wäre damals, als Zigtausend gegen das Projekt auf die Straße gingen, kaum zu vermitteln gewesen.

So wurde die Lösung des Problems vom Lenkungskreis einfach vertagt. Im Protokoll zur Sitzung heißt es, die Sachverhalte würden in den nächsten vier Wochen zwischen Land und Bahn "entscheidungsreif aufbereitet" und "intern abgestimmt". Fakt ist: die Punkte wurden bis heute nicht in die offizielle Kostenrechnung aufgenommen. Dabei sind etwa die Überlegungen für ein zweites - ursprünglich nicht geplantes - Gleis zur Anbindung des Flughafens in der im Juli präsentierten Stresstestsimulation bereits als gegeben unterstellt.

Die Risikoreserve schmilzt

Insofern belegen die bahninternen Papiere, dass die für die Bauzeit von zehn Jahren vorgesehene Risikoreserve für Stuttgart 21 weiter schmilzt. Von anfänglich 1,45 Milliarden Euro sind nach Abzug der schon eingestandenen Mehrkosten von einer Milliarde und jener 78 Millionen, die bis jetzt offiziell nicht auftauchen, nur noch 360 Millionen Euro übrig.

Dabei setzen sich die 78Millionen Euro laut Unterlagen wie folgt zusammen: zusätzliche Signaltechnik für Regionalzüge und S-Bahnen (Baukosten: 15 Millionen Euro plus Planungskosten von 2,5 Millionen Euro); zusätzliche GSM-R-Funkverbindung zwischen Fahrzeugen und Stellwerk (20 Millionen Euro Baukosten plus 3,4 Millionen Planungskosten); Weichenverbindung nördlich von Feuerbach (2,3 Millionen Euro); zweites Gleis zum Flughafen und zusätzliche Röhre (30 Millionen Bau- und 5,1 Millionen Planungskosten).

Sollbruchstelle fast erreicht

Fazit: die im Finanzierungsvertrag vereinbarte "Sollbruchstelle" von 4,526 Milliarden Euro ist fast erreicht, denn zu den neuen Gesamtkosten von 4,166 Milliarden Euro sind zwingend weitere sichere Ausgaben zu addieren. Dazu gehören: die Mehrkosten beim Grundwassermanagement, nachdem die Bahn einräumen musste, dass mehr als doppelt so viel Grundwasser abgepumpt werden muss als beantragt; Mehrkosten für den Planfeststellungsabschnitt 1.3. beim Flughafen, bei dem Experten von insgesamt rund 100 Millionen Euro ausgehen, darunter sind hohe Zusatzausgaben für den Brandschutz nötig; und nicht zuletzt Mehrkosten, die sich aus den Ergebnissen des Stresstestes ergeben könnten, darunter der Bau der zweigleisigen Großen Wendlinger Kurve, der allein auf 50 bis 100 Millionen Euro veranschlagt wird. Kosten jenseits der Obergrenze von 4,52 Milliarden Euro sind nicht verteilt worden, es gibt dafür keine Finanzierung. Vereinbart ist, dass sich die Projektpartner an einen Tisch setzen und miteinander sprechen. Allerdings hat die rot-grüne Landesregierung in ihrem Programm eine weitere Kostenbeteiligung ausgeschlossen.

Eine Steigerung der Kosten auf bis zu fünf Milliarden Euro hatten Fachplaner der Bahn bereits im Herbst 2008 ermittelt; über diesen Zwischenstand berichtete sie aber nicht einmal der damaligen Landesregierung. Stattdessen drückte die Bahn-Spitze die Kosten durch nicht näher geprüfte Einsparungspotenziale von fast 900Millionen Euro auf die offizielle Zahl von knapp 4,088 Milliarden Euro. Ob diese Einsparungen und Optimierungen realisiert werden können, ist offen.

Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) forderte in einem Brief an Bahn-Chef Grube ultimativ "Kostentransparenz". In der nächsten Lenkungskreissitzung Anfang Oktober müssten die aktuellen, wahren Zahlen auf den Tisch kommen. In seiner kurzen Antwort bat Grube allerdings wieder einmal um Geduld - man müsse die Kosten erneut umfangreich berechnen und aufbereiten.