Am Kriegsberg sind während des Tunnelbaus Risse an Häusern aufgetreten. Mit dem Anhydrit habe das nichts zu tun, sagt die Bahn. An diesem Mittwoch berät der Lenkungskreis für Stuttgart 21 über Gefahren des Tunnelbaus.

Stuttgart - Die Lage ist idyllisch, der Ausblick aus dem Wohnzimmerfenster am Kriegsberg auf den Stuttgarter Kessel phänomenal. Doch Sabine Heer hat dafür keinen Blick mehr. Ihr Augenmerk gilt den inzwischen zahlreichen Rissen, die sich, mehr oder weniger breit, durch Wände und Decken der Doppelhaushälfte ziehen.

 

Seit den Sprengarbeiten im Oktober, mit denen die Bahn bisher einen Teil der insgesamt vier Tunnelröhren für Stuttgart 21 unter dem Kriegsberg in Richtung Feuerbach und Bad Cannstatt vorangetrieben hat, entstanden erst kleine, dann größere Risse. In der Küchendecke haben sie sich einem Spinnennetz gleich ausgebreitet. Im Keller klafft ein großer Riss, im Bad im Dachgeschoss finden sich welche, in der Außenwand zur Terrasse hin an Fenstern, Wasserhahn und Kellertreppe weitere. In einer Garage schräg gegenüber sieht es verheerend aus. Die Risse sind so groß, dass man mit den Fingern in Wände und Boden greifen kann. Der Untergrund hat sich erheblich bewegt.

„Bei jeder Sprengung hat es im Haus gerumpelt, es kamen immer mehr Risse dazu, selbst nachts um 2.55 Uhr wurde gesprengt“, sagt Heer. Mitte Dezember befestigte die Bahn Plastikmarkierungen und Spiegel am Gebäude, um Verschiebungen messen zu können. Zuvor war der Zustand im Rahmen der so genannten Beweissicherung per Augenschein dokumentiert worden. Die Bauarbeiten für die Tunnel sind nicht abgeschossen. Ab April wird die Röhre, die dem Haus am nächsten liegt, in 70 Meter Tiefe heranrücken. Heer fürchtet weitere Schäden.

Das Netzwerk Killesberg verwies auf den Rutschhang

Das Netzwerk Killesberg, das Eigentümer in Streitfragen zu Stuttgart 21 berät, hat vor Jahren darauf hingewiesen, dass am Kriegsberg einen Rutschhang gibt, der in der letzten Eiszeit in Bewegung war. Der von der Bahn zurate gezogene Ingenieur Walter Wittke empfahl Messstellen, um Bewegungen frühzeitig zu erkennen. „Vier bis fünf Zentimeter Setzungen“ auf der Tunnelstrecke nach Feuerbach seien möglich, sagte der anerkannte Experte im September 2013 bei der öffentlichen Erörterung dieses S-21-Abschnitts. Er sehe hier keine Probleme.

Die Bahn hat am Killesberg vier so genannte Trivec-Messstellen eingerichtet. Zwei, am Züblin-Weinberg und am Chinesischen Garten, liegen unterhalb beschädigter Häuser. Daten aus den Messstellen könnten nicht genannt werden, weil diese zuletzt „unplausible Ergebnisse“ geliefert hätten, schrieb ein Ingenieur der Projektgesellschaft für Stuttgart 21 dem Rechtsanwalt Armin Wirsing, der das Netzwerk Killesberg vertritt. Am Dienstag erhielt Wirsing neue Messdaten, aber keine alten. Also ist kein Vergleich möglich. „Die Bahn sagt, dass der Tunnelbau nicht ursächlich für die Schäden sei“, so Wirsing, „weil die Baustelle zu weit von den Häusern weg seien“. Wenn die Eigentümer die Ursache mangels Daten nicht nachweisen könnten, „bleiben sie im schlimmsten Fall auf dem Schaden sitzen“, so der Anwalt. Man ringe um Aufklärung.

S-21-Pressestelle räumt „horizontale Auslenkungen“ ein

Die S-21-Pressestelle räumte am Dienstag gegenüber dieser Zeitung „horizontale Auslenkungen um maximal 70 Millimeter“ an beiden Messstellen ein. Auf weitere Nachfrage hieß es, „es gibt jedoch auch eine vertikale Komponente in gleicher Größe“. Das decke sich mit Oberflächenmessungen in den Weinbergen, wo „per se höhere Verschiebungswerte zugelassen und auch zu erwarten waren“. Seit Januar 2017 habe sich keine Zunahme der Verschiebungen gezeigt. Bei der Wohnbebauung weiter oben am Hang seien Setzungen und Verschiebungen „deutlich geringer“. „Sieben Zentimeter Absenkung und Verschiebung sind erheblich, die Bahn versucht das zu bagattelisieren“, sagt Ulrich Hangleiter, einer der Sprecher des Netzwerks.

Mit dem quellfähigen Anhydrit-Gestein hätten die Verschiebungen im Hang nichts zutun, das stehe „absolut fest“, so die S-21-Pressestelle. Der alte Rutschhang sei, „wie prognostiziert nicht aktiv, Veränderungen an der Oberfläche direkt auf den Tunnelbau zurückzuführen“. Hauptursache seien „in größerem Umfang Auslaugungen, die die Tragfähigkeit des Gebirges im Bereich der großen Tunnelquerschnitte des Kriegsbergs geschwächt haben“.

In dem Gebiet gebe es, „wie in anderen Abschnitten auch“, eine vergleichsweise geringe Anzahl von Schadensmeldungen. Man habe die Vorgänge der Versicherung übergeben. Ohne Erklärung der Bahn, dass die Tunnelbauarbeiten die Ursache sind, „wird sie nicht zahlen“, so Anwalt Wirsing.