Im Februar 2012 sind im Schlossgarten mehr als hundert Bäume wegen Stuttgart 21 gefällt worden – sie wurden später teilweise an Künstler verschenkt. Theresia K. Moosherr aus Oberschwaben arbeitet derzeit Hüterinnen der Demokratie.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Von der letzten asphaltierten Straße muss man noch gute zwei Kilometer tief in den Wald hinein fahren, bis man zu einer Lichtung gelangt, wo sich drei Wege kreuzen und alles still ist: Dort, in der Abgeschiedenheit des Ravensburger Staatsforstes, liegt der Arbeitsplatz von Theresia K. Moosherr. Ein Atelier unter den Bäumen. Dort schält die Künstlerin in wochenlanger Arbeit aus dem Stamm einer riesigen Robinie die Leiber von drei Frauen heraus. Es sollen Hüterinnen der Demokratie werden, die darüber wachen, dass Werte wie Freiheit oder Hoheit des Volkes nicht zuschanden werden. Ein Stück weit sei das schon geschehen, so Moosherr, gerade durch Stuttgart 21. Die Robinie, sie stand bis zum Februar 2012 im Schlossgarten und wurde dann für das Bahnprojekt zusammen mit rund hundert anderen Bäumen gefällt.

 

Viel Geld hat die Bahn damals bereit gestellt, um einen Ausgleich zu schaffen für den Kahlschlag – manche Eichen und Platanen sind umgesiedelt worden, die meisten aber wurden umgesägt. In der damals aufgeheizten Stimmung hätten es viele als Sakrileg empfunden, die Bäume zu verscherbeln; so beschlossen Stadt, Land und Bahn, die Stämme für künstlerische, pädagogische und ökologische Projekte zur Verfügung zu stellen. Etat: 200 000 Euro.

Doch bis heute ist es nicht gelungen, dass auch nur eine einzige Skulptur in Stuttgart dauerhaft aufgestellt wurde. Alles zog sich, teilweise waren die Stämme bei der Vergabe 2014 schon angefault. Zwar entstanden dann vor einem Jahr neun Werke in einem Symposium auf dem Killesberg – doch nur eine, jene des Künstlers Thomas Putze, sei ab und zu in Ausstellungen zu sehen, sagt die Bürgerbeauftragte Alice Kaiser. Das Aufstellen sei Sache der Künstler, denn einen Ort an der Roten Wand hätten die Künstler als zu abgelegen abgelehnt.

Bisher gibt es in Stuttgart keinen Platz für die Skulptur

Ob es die Hüterinnen der Demokratie zurück nach Stuttgart schaffen, ist alles andere als sicher. Dabei galt Moosherrs Idee 2012 als vorbildlich – die Künstlerin wollte eine Versöhnungsskulptur schaffen, unter der sich vielleicht eines Tages Befürworter und Gegner des Bahnprojekts die Hand hätten reichen können. Doch wegen Stuttgart 21 selbst und auch nach all dem Ärger und Vertrösten bei der Vergabe sagt Moosherr heute: „Es gibt keine Versöhnung mehr.“ Vielmehr sollen ihre Hüterinnen nun den Mächtigen auf die Finger schauen.

Dass die Skulptur wieder einen Platz im Schlossgarten bekommt und die Robinie dorthin zurückkehrt, wo sie hundert Jahre lang wuchs, darum will Theresia K. Moosherr kämpfen. Man habe dies den Künstlern versprochen, was Alice Kaiser aber dementiert. Moosherr bleibt unbeirrt: „Sonst stelle ich die Skulptur einfach vor den Haupteingang des Landtags ab“, sagt sie.

Theresia K. Moosherr ist, wie man aus ihren Sätzen unschwer heraushören kann, keine Frau, die allzu diplomatisch vorgeht. Sie kann von ihren Bildern und Skulpturen leben, wenn auch mit Mühe, immer muss sie klappern für ihre Kunst und betteln um Fördergelder. Trotzdem schmiert sie niemandem Honig um den Mund, im Gegenteil; manche Menschen in Ministerien und Rathäusern legen mittlerweile den Hörer auf, wenn Moosherr dran ist. „Bei Ungerechtigkeiten kann ich einfach nicht den Mund halten“, sagt sie – wie zuletzt, als der Staatsbetrieb Vermögen und Bau die Bewerbungen von 99 Künstlern für den neuen Landtag als angeblich zu schlecht ablehnte. Moosherr machte die Affäre öffentlich.

Friseurin, Philosophin, Malerin – Stufen einer Karriere

Ihre Mutter, bis heute eine wichtige Bezugsperson, schaute früh in die Seele ihrer Tochter und sagte ihr einmal: „Du wirst es schwer haben im Leben, aber tu, was du tun musst. Du kannst das auch.“ Tatsächlich hat Moosherr nichts geschenkt bekommen. Sie wuchs auf einem Bauernhof in Oberschwaben auf, ihr Vater starb früh, Armut drohte, oft fühlte sie sich hilflos. Doch ihr Wille ist stark, immer strebte sie nach Unabhängigkeit – so lernte sie Friseurmeisterin, eröffnete in Stuttgart einen Salon, studierte nebenher Kunst und Philosophie, begann zu malen und betrieb in der Urbanstraße eine Galerie, die sie oft für fast legendäre Jazzabende nutzte.

Seit 15 Jahren lebt sie wieder in Oberschwaben, heute in Bad Schussenried, und seit ungefähr der gleichen Zeit arbeitet sie mit Holz, einem Werkstoff, der sie an ihre Kindheit, an die Natur, an ihre innere Heimat erinnert. Glück, sagt sie deshalb, sei etwas sehr Konkretes für sie: „Wenn ich im Wald auf meinem Gerüst stehe und eine Idee unter meinen Händen Gestalt annimmt, dann bin ich glücklich.“

Zwei Monate lang darf sie noch glücklich sein; so lange dauert es, bis ihre Kettensäge den Hüterinnen die letzten Ecken und Kanten verpasst haben wird. Wie unglücklich Moosherr danach werden wird, ist unklar – das hängt davon ab, wie oft man ihr in Stuttgart bei der Suche nach einem Platz den Hörer auflegen wird.