Der Bau des unterirdischen Technikgebäudes könnte die Stabilität des Stuttgarter Hauptbahnhofs gefährden. Das belegen bahninterne Dokumente.    

Stuttgart - Am Tag nach der Landtagswahl hat die Deutsche Bahn einen sofortigen Bau- und Vergabestopp bis zur Bildung der neuen grün-roten Landesregierung verhängt. Der Bahn-Vorstand wollte dies ausdrücklich als Signal und Gesprächsangebot an die Koalitionäre verstanden wissen; auch die beiden noch amtierenden Projektsprecher Udo Andriof und Wolfgang Dietrich haben offenbar auf ein Moratorium gedrungen. Warum aber hat Bahn-Chef Rüdiger Grube, der eine solche Denkpause noch vor Wochen mit dem Hinweis auf die laufenden Kosten des Projekts abgelehnt hatte, dem zugestimmt?

 

Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung gab es neben den atmosphärischen Motiven durchaus auch handfeste Gründe für einen sofortigen Stopp der Bauarbeiten. Laut bahninternen Dokumenten, die der StZ vorliegen, hat die mit dem Bau des Technikgebäudes unter dem Kurt-Georg-Kiesinger-Platz beauftragte Firma Wolff und Müller eindringlich vor statischen Problemen für den Bonatzbau gewarnt, falls die bisherige Entwurfsplanung für die unterirdische Technikzentrale so umgesetzt werde wie geplant.

Im Klartext: die vorgesehenen Abstützmaßnahmen für den Hauptbahnhof während der Bauphase sind nicht ausreichend. Das Risiko, dass es zu Senkungen oder gar Schlimmerem kommen könnte, bezifferten die verantwortlichen Ingenieure der DB Projektbau auf exakt 49 Prozent. "Das ist so, wie wenn der Salat für 1,99Euro angeboten wird", spöttelt ein kritischer Bahnexperte.

Nordflügel wurde früher abgerissen als vorgesehen

Die möglichen Mehrkosten für die zusätzlichen Stabilisierungsmaßnahmen sind in dem bahninternen Risikodossier, aus dem das Magazin "Stern" in seiner aktuellen Ausgabe zitiert hat, nicht beziffert. Der Bau des unterirdischen Technikgebäudes war im Fahrplan der Ingenieure um Chefplaner Hany Azer als nächster Bauabschnitt der geplanten Tieferlegung des Hauptbahnhofs vorgesehen.

Auch beim geplanten Tunnel nach Untertürkheim gibt es Probleme: für den Bau der Röhre, so steht es in den DB-Papieren schwarz auf weiß, hätten die angeschriebenen Firmen "trotz mehrfacher Aufforderung" keine Angebote abgegeben. Als möglicher Grund gilt der komplizierte Untergrund - möglicherweise spielen aber auch die Preisvorstellungen der Bahn eine Rolle. Tatsache ist, dass die Experten der DB Projektbau das finanzielle Risiko allein in diesem Planfeststellungsabschnitt auf 21 Millionen Euro beziffert haben - die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Projekt um diese Summe verteuert, wird ebenfalls mit 49 Prozent angegeben.

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Aus den Papieren geht zudem hervor, dass der Nordflügel des Bonatzbaus früher abgerissen wurde als ursprünglich vorgesehen. Weil daraus auch ein vorgezogener Baubeginn für das Technikgebäude sowie der frühzeitige Aufbau des Grundwassermanagements resultiert, rechnen die Planer mit Mehrkosten von 600.000 Euro.

Vertreter der SPD: Bahninterne Risikoschätzung reine "Propaganda"

Die Reaktionen auf die Risikoanalyse der DB Projektbau fallen unterschiedlich aus. Aus Bahnkreisen heißt es zum Thema Risiken, es gebe in dem Papier nur zwei Kategorien: solche, deren Eintrittswahrscheinlichkeit über 50 Prozent liegen und solche, die unter 50 Prozent liegen. Daraus erkläre sich die Zahl von 49 Prozent. Ein Bahn-Sprecher erklärte zudem, die offensichtlichen Schwierigkeiten beim Bau des Technikgebäudes hätten nichts mit dem von Bahn-Chef Grube verkündeten, bis Mitte Mai befristeten Bau- und Vergabestopp zu tun. Dabei habe es sich um ein rein atmosphärisches Signal an die neue Landesregierung gehandelt. Zu Einzelheiten der Riskoanalyse nehme die Bahn keine Stellung, hieß es.

Aus dem Arbeitskreis der Koalitionäre, der sich am Donnerstag mit dem Thema Stuttgart 21 befasst hat, war zu hören, Vertreter der SPD hätten die Berichte über die bahninterne Risikoeinschätzung als reine "Propaganda" abgetan.

Bei der Firma Wolff und Müller dagegen scheint man die Situation anders einzuschätzen. Nach StZ-Informationen wurde auf der jüngsten Betriebsversammlung des Unternehmens sogar die Frage aufgeworfen, ob man sich angesichts unkalkulierbarer Baurisiken überhaupt noch um Aufträge im Zusammenhang mit Stuttgart 21 bewerben solle. Für einen Mittelständler sei die Gefahr groß, sich daran zu verheben.