Eine Befriedung des Konflikts um Stuttgart 21 erwarten alle Politiker von der Volksabstimmung. Doch ob sich diese Hoffnungen erfüllen, ist fraglich.

Stuttgart - Wie hält es Grün-Rot bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 mit der Landesverfassung? Nachdem die frühere schwarz-gelbe Koalition vom Staatsgerichtshof beim EnBW-Deal eines Verfassungsbruchs überführt worden ist, versuchen nun CDU und FDP die Verfassungstreue insbesondere der Grünen infrage zu stellen. Kaum eine Landtagsdebatte über Stuttgart 21, in der die Christdemokraten nicht Zweifel daran nähren, dass die Grünen das Abstimmungsergebnis akzeptieren werden.

 

Zur Abstimmung steht die Frage, ob die grün-rote Regierung aus der Landesfinanzierung des 4,1 Milliarden Euro teuren Projekts aussteigen soll. Nur unter zwei Bedingungen kann sie entsprechende Schritte einleiten: Wenn erstens die Mehrheit der Abstimmenden für die Kündigung der Finanzverträge stimmt und wenn zweitens diese Mehrheit aus mindestens 33,33 Prozent aller Wahlberechtigten besteht.

Wahrscheinlich nicht erreicht

Dieses Quorum ist sehr hoch und wird wahrscheinlich nicht erreicht. Doch selbst wenn: Der Weiterbau des Projekts wäre damit noch nicht automatisch verhindert. Denn die Bahn hat ein Baurecht für einen tiefer gelegten Hauptbahnhof und dessen Anbindung an die geplante Neubaustrecke nach Ulm. Und der Konzern ist auch seinen anderen Partnern - Bund, Stadt und Verband Region Stuttgart - verpflichtet.

Doch noch viel komplizierter werde es bei einem anderen Szenario, meint der Stuttgarter Politologe Frank Brettschneider: „Eine relative Mehrheit für das Ausstiegsgesetz bei Nichterreichen des Quorums würde am wenigsten zu einer Lösung des Konfliktes beitragen. Dann haben wir ein echtes Problem.“ Mehrheitsprinzip und Landesverfassung stünden dann im Widerstreit. Für Brettschneider gilt aber: „Die Verfassung ist der Grundlagentext für politische Auseinandersetzungen, auf den wir uns demokratisch verständigt haben.“ Sie dürfe nicht selektiv in Anspruch genommen werden. Hannes Rockenbauch, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen 21, sieht das gänzlich anders: „Ich bin überzeugt, dass in der Demokratie Mehrheiten entscheiden.“ Auch wenn das Quorum nicht erreicht werde, müsse Grün-Rot bei einer relativen Mehrheit aus dem Projekt aussteigen.

Am Widerstand von CDU und FDP gescheitert

Zwar sei die Volksabstimmung dann gescheitert, aber Grün-Rot sei es unbenommen, das Kündigungsgesetz erneut in den Landtag einzubringen und mit den Stimmen der dem Projekt wohlgesonnenen SPD durchzubringen, sagt der Aktivist: „Die Partei darf nicht wegen Stuttgart 21 hinter ihr eigenes Demokratieverständnis und ihre Beschlüsse zurücktreten.“ Denn die SPD und die Grünen im Landtag hatten Ende August vergangenen Jahres eine vollständige Abschaffung des Quorums bei der Volksabstimmung verlangt. Nur die Mehrheit der Stimmen hätte gezählt. Sie scheiterten damit am Widerstand von CDU und FDP. Aus Sicht des SPD-geführten Justizministeriums steht einem Wiedereinbringen des Gesetzes auch nach der Volksabstimmung rechtlich nichts entgegen.

Nach Ansicht von Rockenbauchs Ko-Sprecherin Brigitte Dahlbender ist die Politik im Fall einer relativen Mehrheit unterhalb des Quorums am Zug. „Die muss dann entscheiden, ob die Mehrheit gilt oder nicht.“ Sie verweist auf einen Bürgerentscheid zum Verkauf städtischer Wohnungen in Heidelberg, bei dem im Juli 2008 das Quorum von 25 Prozent von Wahlberechtigten zwar verfehlt wurde, aber eine Mehrheit der Abstimmenden (82 Prozent) dagegen votierte. Der Gemeinderat schwenkte kurz danach um und schloss sich der Meinung der Gegner der Privatisierung an.

Kretschmann und die Treue zur Verfassung

Dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) solche Verfahrensweisen auch bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 befürworten würde, ist nach seinen jüngsten Äußerungen nicht anzunehmen. Auf die Fragen von CDU-Abgeordneten nach seiner Treue zur Verfassung sagte er: „Sie gilt in der Form, in der sie geschrieben ist. Auch wenn wir uns hinsichtlich des Quorums etwas anderes gewünscht hätten - dem sind Sie nicht gefolgt -, gilt die Verfassung so, wie sie ist. Daran haben sich alle zu halten.“

Auch Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), dessen Verfassungstreue die Opposition besonders gerne anzweifelt, betont: „Wenn das Quorum nicht erreicht ist, ist das Quorum nicht erreicht. Dann wäre das Kündigungsgesetz gescheitert.“ Die Landesverfassung gelte für alle - auch für das Aktionsbündnis. Aber selbstverständlich seien Diskussionen über den Sinn und die Legitimation des Projektes in der Demokratie nicht zu verbieten - gerade bei einer knappen Niederlage der S-21-Gegner.

Weniger eindeutig äußert sich ein anderer prominenter Grüner, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Der eingefleischte S-21-Gegner meint: Wenn zwei Drittel der abstimmenden Bürger den Ausstieg aus dem Projekt wünschen, das Quorum aber nicht erreicht wird, dann könne die Regierung nicht am nächsten Tag sagen: „So, jetzt wird weitergebaut.“