Die Bundesregierung soll das Bahnprojekt besser überwachen. Das hat der zuständige Bundestagsausschuss einstimmig beschlossen. Dort wächst der Ärger über die unzureichende Kontrolle des Projekts und das Verkehrsministerium.
Stuttgart - Die Kostenexplosion bei Stuttgart 21 bringt die Bundesregierung und die Deutsche Bahn AG massiv unter Druck. Der Bundesrechnungshof (BRH) warnt in aktuellen vertraulichen Berichten an den Bundestag eindringlich, dass S 21 noch teurer und noch später fertig werden wird und schon die bisherigen Mehrkosten für den Staatskonzern „kaum tragbar“ seien. Das Projekt solle neu bewertet und der Umfang, soweit möglich, verringert werden.
Dieser Forderung hat sich nach Informationen unserer Zeitung der Rechnungsprüfungsausschuss des Parlaments in seiner jüngsten Sitzung angeschlossen, mit einstimmigem Beschluss auch der Regierungsvertreter von CDU und SPD. Demnach sollen das Verkehrs-, Wirtschafts- und Finanzministerium, deren Staatssekretäre im DB-Aufsichtsrat sitzen, eine Strategie erarbeiten, um Risiken durch S 21 für die Bahn, den Bundeshaushalt und die Schieneninfrastruktur „gering zu halten“.
Ministerium räumt Risiken ein
Das Bundes-Verkehrsministerium (BMVI) mit Andreas Scheuer (CSU) an der Spitze räumt in den Unterlagen erstmals selbst ein, wegen höherer Baupreissteigerungen könnten „sich möglicherweise ein erhöhter Finanzbedarf und Terminverzögerungen ergeben“. Zudem könne S 21 zu „Risiken für den Bundeshaushalt“ führen, wenn die bundeseigene DB AG keine Lösungen finde, den Finanzbedarf zu decken.
Bis 2030 soll der Staatskonzern insgesamt elf Milliarden Euro zusätzliches Kapital vom Bund erhalten, wie die Regierung im Rahmen des Klimapakets überraschend bekannt gab. Wie und wo dieses Steuergeld eingesetzt werden soll, ist bisher offen. Befürchtet wird, dass damit unauffällig auch die riesigen Finanzlöcher bei S 21 gestopft werden sollen.
Bahn muss 5000 Millionen aufbringen
Die Kosten des umstrittenen Tunnelprojekts stehen offiziell bei 8,2 Milliarden Euro, die Fertigstellung soll Ende 2025 sein. Schon jetzt müsse die DB AG „mehr als 5000 Millionen Euro finanzieren“, falls die Projektpartner sich nicht beteiligen, warnt der BRH in den Berichten an den Rechnungsprüfungsausschuss. Das Kontrollgremium des Parlaments, das die Haushaltsführung der Regierung überwacht, ist wegen der wachsenden S-21-Risiken und der unzureichenden staatlichen Überwachung nachhaltig verärgert. Man sei „richtig sauer“, sagte ein Teilnehmer der jüngsten Sitzung. Am vorigen Freitag beschloss der Ausschuss einstimmig, den Empfehlungen zu folgen. Das Verkehrsministerium soll den Bau und die Finanzierung stärker überwachen, „Risiken, Termine und Kosten“ seien neu zu bewerten.
Man fordere „das BMVI mit Nachdruck auf, seiner entsprechenden Verpflichtung nachzukommen“, heißt es in dem umfangreichen Beschluss. Das sei „rechtlich möglich“ – anders als von der Regierung behauptet, die S 21 immer als „eigenwirtschaftliches Projekt“ der DB AG darstellt. Der Rechnungshof und Kritiker dagegen warnten schon vor Projektstart, dass letztlich die Steuerzahler haften, wenn der Umbau des Stuttgarter Bahnknotens den Staatskonzern überfordert.
Kritik am Ministerium von Scheuer
Die Rechnungsprüfer des Bundestags verlangen seit Jahren nach den zahlreichen alarmierenden BRH-Berichten, dass „das BMVI seine haushalts- und zuwendungsrechtlichen Pflichten erfüllt“ und Bau sowie Finanzierung von S 21 überwacht, um Folgelasten für den Bund zu verhindern. Die Beschlüsse würden aber fortgesetzt vom BMVI missachtet, kritisieren der BRH und der Ausschuss.
Auch in der jüngsten Sitzung habe BMVI-Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) betont, es gebe keine Zugriffsrechte, heißt es in Teilnehmerkreisen. In einem achtseitigen Bericht an den Ausschuss vom Juli schreibt das BMVI, der Bund sei kein S-21-Projektpartner und eine begleitende Überwachung nicht möglich. Gleichzeitig räumt das Haus von Minister Andreas Scheuer (CSU) aber ein, S 21 habe aufgrund des sehr hohen Eigenmittelanteils der DB AG „direkte Auswirkungen auf die Lage des DB-Konzerns“. Weitere Kostensteigerungen könnten „einen erhöhten Finanzbedarf bewirken“ – und eine noch höhere Belastung der DB.
Folgen für Netz befürchtet
Zur Einordnung: Schon die jetzige Belastung der DB AG von mehr als fünf Milliarden Euro bei S 21 ist fast das Zehnfache des letzten Jahresüberschusses des klammen und hoch verschuldeten Staatskonzerns. Der Rechnungshof warnt daher, dass der Staat den Konzern wie schon 2017 erneut mit einer Finanzspritze stützen und auf erwartete Dividenden verzichten muss.
Da die Gewinnausschüttungen der DB AG zurück ins Schienennetz fließen sollen, würden dann dringend nötige Mittel für die überalterte Infrastruktur fehlen. Der BRH wörtlich: „Angesichts dringend notwendiger Ersatzinvestitionen und eines Nachholbedarfs von rund 50 000 Millionen Euro lässt dies gravierende Folgen für das Bestandsnetz befürchten.“ Das Verkehrsministerium müsse daher „seine bisherige laissez-faire-Haltung aufgeben“ und aktiv werden, um Schaden für den Bund und die Bahninfrastruktur abzuwenden. Die Prüfer gehen „davon aus, dass sich Kostenrisiken realisieren und den Finanzbedarf weiter erhöhen werden“. Auch sei damit zu rechnen, dass „sich die Inbetriebnahme weiter verzögern wird“. Der Bundesrechnungshof hat bereits vor Jahren beim Projekt Stuttgart 21 vor Kosten von fast zehn Milliarden Euro gewarnt, was die DB-Spitze damals heftig bestritt.