Die Arbeiten im Rahmen des Bahnprojekts Stuttgart 21 sind an vielen Stellen zu laut. Deshalb wird eine Logistikfläche überdacht und in der Sängerstraße eine zehn Meter hohe Mauer gebaut. Anwohner bekommen Schallschutzfenster, die ihnen die Bahn bisher versagte.

Stuttgart - Die Projektgesellschaft des Bahnprojekts Stuttgart 21 stößt nach eigener Aussage bei ihrer Aufgabe, so geräuscharm wie möglich zu graben und den Abraum aus den Tunneln zu entsorgen, an technischen Grenzen. Das betonte der Leiter der Abteilung Technische Fachdienste, Florian Bitzer, am Dienstag im Technikausschuss des Gemeinderats. „Es ist der völlige Wahnsinn“, beschrieb er etwa die nun notwendig gewordene Einhausung der Baustellenfläche vor dem Wagenburgtunnel. Dazu ist ein aufgeständertes Hallendach vorgesehen, um die direkte Schallausbreitung im Kernerviertel zu unterdrücken. Bitzer sagte: „Da habe ich zuerst einmal den Kopf geschüttelt.“ Aber mit entsprechendem Aufwand sei alles machbar.

 

CDU-Fraktionschef Alexander Kotz sah „Anlass für kritisches Nachfragen“ – und bezeichnete den Bericht als problematisch. Die geplagten Anwohner versuchte der Projektbefürworter mit dem Hinweis darauf zu beruhigen, dass der neue Bahnhof „wie der alte die nächsten hundert Jahre hebt“. Baulärm sei „nicht immer negativ“, sagte die SPD-Stadträtin Susanne Kletzin mit Verweis auf ihren Beruf als Architektin. Im konkreten Fall sei er aber lästig – sie habe ihr Büro im Nordbahnhof.

Der Ausbruch muss nachts gesammelt werden

Am dortigen Zwischenangriff Prag beim Wartberg sind laut Bahn „kurzfristige Maßnahmen“ nötig, diesmal weil die nächtlichen Arbeiten das akzeptable Maß überschreiten. In der Röhre, die zu den Tunneln von und nach Feuerbach führt, muss der Ausbruch nun nachts gesammelt werden. Die Verladung des Abraums am ganz in der Nähe befindlichen Bahnsteig ist vorerst gestoppt, stattdessen fahren bis zur Fertigstellung der Behelfsbrücke in zwei Wochen tagsüber die Lastwagen durch das Gebiet zur zentralen Verladestelle.

Mittel- und langfristig reichten diese Maßnahmen aber nicht, weil es so laut geworden sei. Vielmehr müsse der gesamte Ablauf und das Entsorgungskonzept überprüft werden. Nun sei „Kreativität“ bei den mit den Bauarbeiten und dem Abtransport beauftragten Firmen gefragt, um die Lärmimmissionen zu verringern. Dazu gehört auch, rückwärtsfahrenden Baumaschinen das nervige Piepsen abzugewöhnen. Ohne Warnton geht es aus Sicherheitsgründen nicht, ein Breitband-Alarm, zielgerichtet, selbstregulierend in der Lautstärke und offenbar nur auf der Baustelle zu hören, soll Abhilfe schaffen. Das Problem: damit kann die Betriebserlaubnis erlöschen, das Fahrzeug müsste sofort stillgelegt werden.

Anwalt hat auf falscher Grundlage entschieden

Als bedeutend ist im Ausschuss der Hinweis gewertet worden, am Wartberg sei auch ein stärkerer passiver Schallschutz bei den Anwohnern nötig. Tatsächlich hatten die Bürger mit hohem persönlichen Einsatz und eigenen finanziellen Mitteln für Gutachter – aber auch vergeblich – dies zu erreichen versucht. Nun hat der Anwalt der Bahn, Peter Schütz, eingeräumt, auf falscher Grundlage agiert zu haben. Ursächlich in diesem und den anderen Fällen seien fehlerbehaftete Prognosen in den Detailgutachten. Obwohl sie auf einer schon ziemlich genauen Ausführungsplanung basierten, seien die erwarteten Immissionen zu gering bemessen worden. Die Materie sei aber auch schwierig; so müsse etwa der Umgebungslärm aus dem Gesamtbild herausgefiltert werden.

Zusätzliche Anstrengungen sind laut Bitzer auch zum Schutz der Anwohner in der Sängerstraße im Kernerviertel erforderlich. Als „aktive“ Maßnahme wird für die nächsten drei bis vier Jahre eine Lärmschutzwand entlang der Sängerstraße erstellt. Sie ist zehn Meter hoch, soll Ende des Jahres fertig sein – und bringt laut Gangolf Stocker (SÖS-Linke-Plus) für viele Anwohner überhaupt nichts.

Diese zu begrünen, wie die Grünen forderten, überfordert die Projektgesellschaft. „Die Wand ist sicher keine Schönheit, wir hätten sie auch gerne grün, aber hier strecken wir die Waffen“, so Bitzer. Darum müsse sich die Stadt kümmern. Bitzer fürchtet im Falle einer Begrünung die Ansiedlung von Tieren, die einen späteren Abriss verhindern könnten.

Für die AfD sind Graffiti-Sprayer „Dissoziale“

AfD-Stadtrat Eberhard Brett würde, verbunden mit der Hoffnung, dass so manche Fassade unverziert bleibt, die Oberfläche am liebsten „dissozialen Menschen“, er meint Graffiti-Künstler, zur Verfügung stellen. Brett lobte den Vortrag Bitzers, er sei „Ausdruck der neuen Deutschen Bahn“. Zu dem von Ungleichheit geprägten Verhältnis zwischen Anwohnern und Bahn-Fachleuten sagte Brett: „Wer mit einem Großkonzern auf Augenhöhe diskutieren will, muss sich eben vorbereiten.“

Ingenieur Bitzer lobte derweil die Transparenz seines Arbeitgebers: Im ersten Halbjahr seien bereits 50 Messberichte zu Schall- und Erschütterungen im Internet veröffentlicht worden. Das vor erheblichen Belästigungen für die Anwohner warnende Gutachten für die Arbeiten an einem Baufeld entlang der Willy-Brandt-Straße (StZ v. 30. Juni) wegen des Einsatzes von Ramm- statt Bohrpfählen, gehört nicht dazu. Das Papier sei ihm nicht bekannt, beteuerte Bitzer am Dienstag. Es stammt schon vom 13. Juni 2013, und auch der Autor ist bekannt: Peter Fritz. Der Gutachter saß im Ausschuss neben Florian Bitzer.