Selbst Stuttgart-21-Gegner sind nicht glücklich über die Verhältnisse am Hauptbahnhof. Normalos, Hippies und Punks campieren dort.  

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Wir sind souverän" steht in Goldlettern auf dem Transparent, darüber ist eine Krone abgebildet. Auf Plakaten, die eine Gruppe von Zelten wie eine antike Kultstätte umschließen, sind weiße Säulenkapitelle und Tempelfriese zu sehen. Dieter Grabowski gefällt das Zeltlager der Stuttgart-21-Gegner im Schlossgarten trotzdem nicht. "Der Park ist ein Saustall geworden", schimpft er.

 

Das will die junge Frau so nicht stehen lassen. "Die Stadt macht hier seit dem 30.September doch nicht mehr sauber", erwidert die 31-jährige Kunstgeschichtestudentin, die ihren Namen nicht nennen will. Der braune und unebene Boden sei eine Folge des Polizeieinsatzes am 30. September. "Die haben die Wiesen selbst zerstört", entgegnet sie dem Rentner. Die Bodenwellen seien von den Wasserwerfern verursacht worden. Und: "Das Gelände ist eh zum Tode verurteilt, das soll ja der Tiefbahnhof hin". Die Argumente überzeugen Grabowski nicht. "Ich bin gegen Stuttgart 21", sagt der 70-jährige. "Aber ich bin auch gegen diesen Dreck - das hat mit Parkschutz nichts mehr zutun." Und er fügt hinzu: "Der Park gehört der Öffentlichkeit."

Das Streitgespräch ist typisch für die Auseinandersetzung über das Zeltdorf beim Hauptbahnhof. Schon vor der Eskalation des Konflikts um Stuttgart 21 an jenem "schwarzen Donnerstag" im September hatten Projektgegner im Park Zelte aufgebaut, seither sind weitere hinzugekommen. "Seit die Sonne wieder winkt, sind wir massig mehr geworden, etwa 60 Leute, locker doppelt so viele wie vorher", sagt Simon. Der 36-jährige Fahrradkurier, der die langen Haare zu einem Zopf zusammengebunden hat, steht vor einem der vier in der Morgensonne gleißenden Tipis und dreht sich eine Zigarette. Er campiert seit dem 30. September im Schlossgarten und er will vorerst auch hier bleiben. "Ich werde mich den Baumfällmaschinen in den Weg stellen", sagt er. Das hat auch Thomas vor. Der 32-Jährige, der noch etwas übernächtigt aussieht, bezeichnet sich selbst als Aussteiger, der nach Spanien wollte, davon aber vorerst von der "kleinen Revolution" in Stuttgart abgehalten wurde. Der 32-Jährige räumt ein: "Manchmal geht es hier chaotisch zu, aber dann reißen wir uns wieder zusammen und räumen auf."

Ein "gesellschaftliches Problem"

Wirklich glücklich ist niemand über die Entwicklung im Schlossgarten, auch nicht die organisierten Gegner von Stuttgart 21. "Ich finde das nicht schön, aber ich kann nichts daran ändern", sagt Matthias von Herrmann, der für die Gruppe der aktiven Parkschützer spricht. Unter den Zeltdorfbewohnern gebe es eine ganze Reihe von Leuten, die sich sonst an Orten wie der Klettpassage aufhielten und die im Übrigen "zu nichts zu motivieren" seien. Man habe es hier mit einem "gesellschaftlichen Problem" zu tun, sagt von Herrmann. Dabei ist ihm klar, dass die Verhältnisse im Park dem Ansehen der Stuttgart-21-Gegner in der Bürgerschaft schaden könnten. Was für ihn bedeutet: "Wir müssen schauen, dass es dort visuell wieder besser wird und dass wir eine soziale Lösung hinbekommen."

Was mit der Kritik an den Zuständen im Zeltlager vermutlich gemeint ist, zeigt sich bei einem Rundgang. Etwas entfernt von den Tipis stehen zehn kleinere Zelte unter Bäumen, in der Mitte ein altes Ölfass, aus dem dünner Rauch aufsteigt, um dieses herum Parkbänke, leere Bierflaschen und Dosen. "Hier gibt es Normalos, Hippies und Punks", sagt einer der Zeltbewohner mit roter Irokesenfrisur. Ein anderer aus der Gruppe erklärt: "Wir haben keinen Bock auf Gesetzeswidrigkeit", womit er die seiner Meinung nach fehlende Legitimation von Stuttgart 21 meint. Und: "König Wilhelm hat dem Volk diesen Boden geschenkt".

"Das alles hat mit dem Protest gegen den Tiefbahnhof nur noch sekundär zutun", findet Reinhold Scherbaum. "Da ist eine Subkultur von Leuten entstanden, die sich aus der Gesellschaft ausgegliedert fühlen oder es auch sind", sagt der 66-jährige Passant. Den Stuttgart-21-Gegner stört das Zeltdorf aber nicht. Den Fraktionschef der CDU im Gemeinderat, Alexander Kotz, schon. "Das ist unerträglich", sagt er. Bis im Herbst werde im Park baulich doch weiter nichts geschehen. "Deshalb gibt es auch keine Notwendigkeit für diese Verunstaltung", findet Kotz. Weshalb auch die Projektgegner darauf hinwirken müssten, dass der Schlossgarten im Sommer wieder ein Ort werde, "in dem sich auch Familien und Jogger wohlfühlen." Die CDU-Fraktion will das Zeltlager im Schlossgarten am Donnerstag besichtigen. Alexander Kotz fordert, dass man mit Sozialarbeitern die Zeltbewohner zum Verlassen des Parks auffordert.

Der Eigentümer der Fläche, das Landesfinanzministerium, äußert sich zurückhaltend. Das Nächtigen im Schlossgarten sei "untersagt", für Sanktionen bei Verstößen sei aber die Stadt zuständig, sagt ein Sprecher. Bei der Frage, wie angesichts der aktuellen Entwicklung vorzugehen sei, müsse die "besondere Situation" des Schlossgartens berücksichtigt werden. "Das Gelände wird über Jahre eine Baustelle sein", so der Sprecher. Man wolle das Gespräch mit den Zeltdorfbewohnern suchen, "mit dem Ziel der Deeskalation". Das Amt für öffentliche Ordnung wiederum verweist auf den Eigentümer. Der müsse sagen, ob er die jetzige Nutzung des Geländes weiter "dulden" wolle, so Amtsleiterin Dorothea Koller.