Am Hang vor Schloss Rosenstein wird von sechs Bäumen angenommen, dass sie Heimat des Juchtenkäfers sein könnten. Allerdings stehen sie dem Projekt Stuttgart 21 im Wege. Ob sie gefällt werden dürfen, beschäftigt mittlerweile die Europäische Kommission.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Von der Bahn beauftragte Firmen haben damit begonnen, Bauzäune unterhalb von Schloss Rosenstein aufzustellen. Die Arbeiten werden von Stuttgart-21-Gegnern mit Argusaugen beobachtet. Um an den Tunneln nach Bad Cannstatt weiterarbeiten zu können, müssten an der Stelle noch rund 100 Bäume und andere Gewächse gefällt werden. In sechs davon wird der streng geschützte Juchtenkäfer vermutet.

 

Die Arbeiten stehen unter Zeitdruck. Gerodet werden darf – wenn überhaupt – nur in der vegetationsarmen Periode und die endet Ende Februar. Bei der Bahn will man sich nicht in die Karten schauen lassen. „Am Rosensteinportal finden derzeit vorbereitende Maßnahmen statt, um das Baufeld für dort anstehende Bautätigkeiten im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 frei zu machen. Dabei ist die Fällung der allermeisten Bäume bereits planfestgestellt“, sagt Projektsprecher Jörg Hamann auf Anfrage. Keine Angaben macht er zu einem eventuellen Zeitplan der Fällarbeiten. Man sei aber „zuversichtlich, dass das Eisenbahn-Bundesamt die Fällung der dort identifizierten sechs Juchtenkäferverdachtsbäume so rechtzeitig genehmigt, dass das Baufeld nach der bis Ende Februar andauernden vegetationsarmen Zeit für den Beginn der Baumaßnahmen am Rosensteinportal zur Verfügung steht.“

Mehr als 3800 Hektar großes Schutzgebiet

Das von Hamann erwähnte Eisenbahn-Bundesamt (Eba) muss aber vor einer Genehmigung der Arbeiten die Europäische Kommission anhören. Denn der Rosensteinpark steht als sogenanntes Fauna-Flora-Habitat (FFH) unter dem Schutz der EU. Der Park gehört laut der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg zum Schutzgebiet Glemswald und Stuttgarter Bucht, das sich über 3813 Hektar in den Landkreisen Böblingen, Esslingen und Ludwigsburg erstreckt sowie auf dem Gebiet der Landeshauptstadt. Auf ihrer Markung liegt mit 1938 Hektar der Löwenanteil des Schutzgebietes. Die EU, heißt es beim Eba, habe nun Zustimmung signalisiert.

Bei der Bahnprojektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) sieht man keine eigenen Versäumnisse, was den Artenschutz angehe. Florian Bitzer, der unter anderem den Fachbereich Umwelt bei der PSU leitet, weist darauf hin, dass die Baugenehmigung für den Abschnitt nach Bad Cannstatt im Januar 2007 erging. Erst danach aber noch im selben Jahr verschärfte der Bund die Artenschutzgesetze. Eine Sicht der Dinge, die auch aus einem Schreiben des Bundesverkehrsministeriums an Abgeordnete der Grünen im Bundestag hervorgeht. Die wollten vor Kurzem im Rahmen einer Kleinen Anfrage von der Bundesregierung wissen, welche Auswirkungen der Artenschutz und die Genehmigungsverfahren auf die Kosten- und Terminsituation von Stuttgart 21 habe. Enak Ferlemann, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, erklärt in der Antwort: „Konkrete Auswirkungen auf die Projektrealisierung und auf die Kosten hatte die Änderung des Artenschutzrechts im Oktober 2007“. Die zuvor ergangenen Baugenehmigungen, die sogenannten Planfeststellungsbeschlüsse, hätten nach der damals noch geltenden Rechtslage „kaum Regelungen zum Artenschutz“ enthalten. Der Europäische Gerichtshof hatte allerdings 2006 die Umsetzung der FFH-Richtline in Deutschland gerügt, worauf der Bund die Artenschutzgesetze verschärfte. „Seither können auch planfestgestellte Maßnahmen artenschutzrechtliche Verbotstatbestände auslösen“, schreibt Ferlemann. Im Klartext: Auch eine bereits ergangene Baugenehmigung muss den neuen Ansprüchen genügen.

Käferverdacht erst nach der Baugenehmigung

Deswegen schickte die Bahn abermals Gutachter in den Rosensteinpark und die identifizierten sogenannte Verdachtsbäume, also Gehölze, bei denen es nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie dem Juchtenkäfer als Bleibe dienen. Diese dürfen nur nach vorheriger Anhörung der EU-Kommission gefällt werden. Im Sommer 2016 hat deswegen die Bahn Kontakt mit Brüssel aufgenommen. Was folgten waren zahlreiche Besprechungen und Abstimmungsrunden. Im April 2017 erreichte der Antrag die Kommission. Deren Stellungnahme ist für die Genehmigungsbehörde, das Eisenbahn-Bundesamt, allerdings nicht bindend. Ohne den Eba-Bescheid wiederum dürfen die Arbeiten am Rosensteinhang nicht fortgesetzt werden.

Nur wenige Meter von den nun im Fokus stehenden Bäumen hatte die Stadt Ende 2016 ihrerseits Bäume gefällt. Diese waren dem Vorhaben im Weg gestanden, eine neue Fußgängerbrücke hinüber zum Neckarufer zu bauen als Ersatz für den dem B-10-Tunnelbau zum Opfer gefallenen Elefantensteg. Die Stadt hatte argumentiert, die Bäume seien zu jung, um dem Juchtenkäfer eine Heimstatt zu bieten.