Bei den Projektpartnern von Stuttgart 21 gibt es eine neue Konstellation - und die Interessen sind vollkommen unterschiedlich.

Stuttgart - Am kommenden Donnerstag will sich Winfried Kretschmann im Stuttgarter Landtag zum republikweit ersten grünen Ministerpräsidenten wählen lassen. Schon in der darauf folgenden Woche könnte dann erstmals der sogenannte Lenkungskreis zusammentreten, in dem die beteiligten Projektträger gewissermaßen auf höchster Ebene über das Wohl oder Wehe des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 entscheiden. Bahn und Regierung haben zumindest ihr Interesse an einem raschen Termin bekundet.

 

Zumindest in einem Punkt täte eine rasche Entscheidung in der Sache Not: Die Bahn hat ihren nach dem Wahlsieg von Grün-Rot erklärten freiwilligen Bau- und Vergabestopp zeitlich bis zur Konstituierung der neuen Regierung befristet. Die neuen Damen und Herren in der Villa Reitzenstein wiederum haben im Koalitionsvertrag die Erwartung festgeschrieben, dass der Bauherr Bahn den Baustopp bis zum vorgesehenen Abschluss der geplanten Volksabstimmung verlängert.

Die SPD erhält einen Platz im Lenkungsausschuss

Der Streitpunkt: wer trägt die Kosten für diese neuerliche Verzögerung? Bahn-Chef Rüdiger Grube soll intern mit bis zu 300 Millionen Euro kalkulieren, die sich durch einen verlängerten Stopp der Bauarbeitern aufsummieren würden. Die Grünen wollen, dass die Bahn dafür aufkommt; die Bahn wiederum will sich dieses Entgegenkommen vom Land teuer bezahlen lassen. Falls das Land nicht zahlt, ist eine sofortige Wiederaufnahme der Bauarbeiten und Vergaben denkbar - auch wenn dies zu erneuten Bürgerprotesten und womöglich zu einer weiteren Eskalation der Ereignisse führen könnte. Die SPD wiederum, der von Kretschmann entgegen der bisherigen Gepflogenheiten ein Sitz im Lenkungsausschuss zugestanden wurde, verhält sich abwartend. Das hat auch damit zu tun, dass noch immer unklar ist, welcher Sozialdemokrat diesen Platz einnimmt.

Die Personalspekulationen reichen vom designierten Vize-Regierungschef Nils Schmid über den SPD-Abgeordneten und Exprojektsprecher Wolfgang Drexler bis hin zum neuen Justizminister Rainer Stickelberger, der sich als früherer Verwaltungsrichter auch mit dem Vertragsrecht gut auskennt. Die Berufung des 60-Jährigen hätte freilich eine gewisse Brisanz. Innerhalb seiner Partei gilt Stickelberger, vorsichtig formuliert, nicht gerade als glühender Anhänger des milliardenschweren Bahnprojekts.

Die Bundesregierung müsste der Bahn einen Blankoscheck ausstellen

Der fürs Verkehrsressort nominierte Kollege und profilierte Stuttgart-21-Gegner Winfried Hermann (Grüne), der ebenfalls qua Amt dem von Bahn-Chef Grube geleiteten Lenkungskreis angehört, würde den Juristen daher sicherlich gern an seiner Seite sehen. Hermanns Strategie liegt auf der Hand: Er setzt darauf, dass der Bau von Stuttgart 21 deutlich teurer wird als die von Rüdiger Grube zur "Sollbruchstelle" erklärten 4,52 Milliarden Euro. Die nicht in vollem Umfang zu realisierenden prognostizierten Einsparpotenziale in Höhe von 900 Millionen Euro sowie die infolge des Stresstests notwendig werdenden Nachbesserungen sieht er als gegeben an. Laut Koalitionsvereinbarung wird das Land aber seinen Finanzierungsanteil auf keinen Fall aufstocken, und auch die Landeshauptstadt hat wiederholt bekundet, nichts mehr zuzuschießen.

Damit läge der Ball im Feld der Bundesregierung, die als alleiniger Anteilseigner dem mit 18 Milliarden verschuldeten Schienenkonzern einen Blankoscheck für sämtliche Mehrkosten während der auf zehn Jahre geschätzten Bauzeit ausstellen müsste. Obwohl in der Berliner CDU-FDP-Koalition die Neigung durchaus ausgeprägt sein dürfte, Grün-Rot auf diese Weise die Grenzen aufzuzeigen, würde dies Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) in arge Erklärungsnöte bringen. Schließlich gibt es genügend andere Bundesländer, deren Bedarf an Bundeszuschüssen für ihre Verkehrsinfrastruktur aus Ramsauers Etat nicht gedeckt werden kann. Die Ausgangslage für den Lenkungskreis ähnelt jedenfalls einem Mikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Vor diesem Hintergrund ist eine schnelle Grundsatzentscheidung kaum zu erwarten.