Die Bürger auf den Fildern sollen bei der Planung von Stuttgart 21 mitsprechen, die Resonanz ist zurückhaltend. Kretschmann versucht, den Schaden in Grenzen zu halten. Doch die Zeit drängt.

Stuttgart - Winfried Kretschmann hat es ja gern grundsätzlich, besonders dann, wenn es um die Grundfesten seiner Politik geht. Die Bürgerbeteiligung gehört dazu, muss es auch – nennt sich die Landesregierung doch eine Bürgerregierung. Wenn aber dann ausgerechnet – wie jetzt auf den Fildern – der Bürgerdialog stockt, dann braucht es mindestens einen Perikles, um die Dinge wieder gerade zu rücken. Also hat der Ministerpräsident am Dienstag den Staatsmann zitiert, der laut Thukydides vor 2500 Jahren in seiner Gefallenenrede gesagt haben soll: „Wir sind die einzigen, die einen Bürger, der keinen Sinn für den Staat hat, nicht für ein ruhiges, sondern für ein unnützes Mitglied desselben halten.“ In Kretschmanns etwas geglätteter Version lautet die Übersetzung: „Bei uns ist ein ruhiger Bürger kein guter Bürger.“

 

Dummerweise haben sich die Bürger auf den Fildern jedoch entgegen den Intentionen der Landesregierung ziemlich ruhig verhalten. Zumindest reagierten sie sehr zurückhaltend auf das Angebot, bei den Planungen für die Anbindung des Flughafenbahnhofs an das Projekt Stuttgart 21 mitzuwirken. Die für Freitag angesetzte Auftaktveranstaltung zum Filderdialog musste kurzfristig abgesagt werden, weil sich bisher lediglich fünf der zufällig ausgewählten Bürger zur Teilnahme bereit erklärt haben. Nach Plänen des Bonner Moderators Ludwig Weitz sollen es aber insgesamt 80 sein.

Nur 40 der angeschriebenen Anwohner haben sich gemeldet

Von den 250 angeschriebenen Anwohnern in den betroffenen Kommunen haben sich bisher überhaupt nur 40 zurückgemeldet. Viele davon hätten ihre Absage mit den anstehenden Pfingstferien begründet und geschrieben, dass sie ansonsten gerne an dem Verfahren teilnehmen würden, sagte Weitz. „Es schien uns daher das kleinere Übel, die Ferien abzuwarten und den Dialog dann mit einer ausreichenden Zahl an Bürgern zu bestreiten.“ Als Termin für die erste Dialogrunde wurde nun der 16. Juni angesetzt.

Regierungschef Kretschmann mühte sich am Dienstag nach Kräften, die Pleite klein zu reden. „Man kann nicht erwarten, dass alles rund läuft auf dieser Welt“, sagte er – und fügte hinzu: „Auch die Welt sieht nur vom Weltall aus rund und glatt aus, tatsächlich aber wird sie von Bergen und Gräben durchzogen.“ Auf die Kritik an dem laienhaft angegangenen Filderdialog reagierte er recht dünnhäutig. Die Landesregierung gehe in Sachen Bürgerbeteiligung neue Wege, betrete Neuland, zeige Mut zum Experiment – dann müsse man auch ertragen, wenn einmal etwas nicht auf Anhieb funktioniere. Hinterher sei man immer klüger. Im Grundsatz sei der Gedanke des Moderators Weitz völlig richtig: ein Verfahren zu wählen, das auch Menschen beteilige, die noch keine vorgefertigte Meinung haben und ohne persönliche Betroffenheit an das Thema herangehen.

„Man hätte es stringenter machen können“, sagt Kretschmann

Dass nicht jeder gleich Hurra schreit, wenn er zur Teilnahme aufgefordert wird, hält Kretschmann für nachvollziehbar. Dennoch sei es wichtig – da knüpft Kretschmann wieder an Perikles an –, auch die Stillen zu gewinnen. Immerhin räumte er ein: „Man hätte es stringenter machen können.“ Trost fand er in der Allerweltsweisheit: „Nur wer nichts macht, macht keine Fehler.“

Die Bahn als Bauherrin von Stuttgart 21 betonte, dass sie nach wie vor bereit sei, in einem Dialogforum mit Bürgern über verschiedene Grundvarianten von Fildertrassen zu diskutieren. Das sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich. „Wir sind der Meinung, dass das immer noch Sinn macht und möglich ist.“ Es müsse jedoch trotz der Zeitverzögerung beim bisher vereinbarten Abschluss des Filderdialogs am 7. Juli bleiben. „Einen späteren Termin können wir nicht akzeptieren.“ Das gelte auch für Stadt und Region.

„Vielleicht wollen die Bürger nicht mehr diskutieren“

Das Verfahren selbst und dessen Vorbereitung, die von Projektgegnern und Befürwortern von Beginn an gleichermaßen hart kritisiert wird, wollte die Bahn nicht kommentieren. Man habe das Land bei der Vorbereitung dieses Bürgerbeteiligungsverfahrens unterstützt und auch den vorgeschlagenen Moderator akzeptiert, betonte Dietrich. Die mangelnde Resonanz seitens der Bürger zeige aber nun, dass das Land das gewählte Verfahren vielleicht noch einmal überdenken müsse, so der Stuttgart-21-Sprecher. „Vielleicht wollen die Bürger aber auch gar nicht mehr diskutieren. Vielleicht wollen sie, dass endlich gebaut wird.“

Gisela Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung und als solche für den planmäßigen Verlauf des Filderdialogs zuständig, glaubt derweil trotz des Rückschlags an die Sinnhaftigkeit des Vorhabens. Die schwache Rückmeldung enttäusche sie zwar, so die Sozialwissenschaftlerin. Die Gründe dafür sieht sie aber nicht in einem mangelnden Interesse der Bürger. Vielmehr sei der Termin einen Tag vor Beginn der Pfingstferien wohl für viele ein Grund gewesen, sich nicht anzumelden. Zudem sei der zeitliche Vorlauf für die Einladung zu knapp gewesen.

Gisela Erler will die Menschen nun intensiv ansprechen

Um eine „möglichst gute Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten“, sollen nun erneut Einwohner jener Kommunen angeschrieben werden, die von der geplanten Anbindung des Bahnprojekts Stuttgart 21 an den Landesflughafen betroffen sind. „Wir werden die Zeit bis zum Auftakt für eine intensive Ansprache nutzen“, so Gisela Erler. „Bürgerbeteiligung heißt für uns, dass gerade auch Menschen einbezogen werden, die sich sonst nicht politisch einbringen.“

Auch die SPD-Landtagsfraktion legt nach Bekunden des Esslinger Abgeordneten und Landtagsvizepräsidenten Wolfgang Drexler „großen Wert darauf, dass der Filderdialog auf jeden Fall stattfindet“. Die Verantwortung dafür liege bisher beim Verkehrsministerium, bei der Staatsrätin Gisela Erler (Grüne) und bei dem Moderator Ludwig Weitz – und dort bleibe sie auch. Gerade auf den Fildern, einem hochbelasteten Gebiet, sei es wichtig die Bürger in solche Entscheidungsprozesse einzubinden.

Die Bürgebeteiligung soll nicht nur ein Placebo sein

Er, Drexler, sehe auch gute Chancen, das Projekt an dieser Stelle noch zu verbessern, beispielsweise die beiden bisher weit auseinander liegenden Bahnhöfe für die S- und die Fern-Bahn enger zusammen zu legen oder eine andere Trasse für den direkten Zugang zum Flughafen zu bekommen. Insofern sei die Bürgerbeteiligung ernst gemeint und nicht nur ein Placebo zur Beruhigung der Gemüter. Fazit Drexlers: „Der Auftakt des Filderdialogs war holprig, jetzt muss die Sache rasch in die richtige Spur kommen.“