Von außen betrachtet ist am Freitagmorgen für die grün-rote Regierungskoalition alles nach Plan gelaufen. Der Weg zur Volksabstimmung ist nun frei.

Stuttgart - Von außen betrachtet ist am Freitag für Baden-Württembergs grün-rote Regierungskoalition alles nach Plan verlaufen. Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen brachte den Entwurf für ein Kündigungsgesetz zu Stuttgart 21 in den Landtag ein, Ende des Monats kann der Entwurf nach parlamentarischen Beratungen mit den Stimmen der Opposition und der SPD zurückgewiesen werden. Das Scheitern des Gesetzes hat Methode, denn nur so lässt sich der Weg zu der von Grün-Rot propagierten Volksabstimmung eröffnen.

 

Das Verfahren stellt ein Novum dar in der Parlamentsgeschichte des Landes. Die Opposition hält es für verfassungsrechtlich bedenklich. "Täuschen, tarnen und tricksen: das ist Ihre Regierungsmaxime", wetterte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Sein CDU-Kollege Peter Hauk warf der Koalition vor, mit der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 einen Vertrag zur Disposition zu stellen, der nicht kündbar sei. Trotz der juristischen Probleme verzichte die CDU auf eine Klage vor dem Staatsgerichtshof, denn kein Richter könne ein Urteil fällen, "das den Unmut, der in der Bevölkerung herrscht, aufwiegen und zu einer echten Befriedung im Land beitragen würde". An die Grünen gewandt sagte Hauk: "Sie würden auch dieses Urteil hinterfragen und angreifen, Sie würden die Gerichtsbarkeit infrage stellen, und Sie würden weiter und weiter gegen dieses Projekt kämpfen."

Schwungvolle Rede

Hauk hielt am Freitag eine sehr schwungvolle Rede als CDU-Fraktionschef. Dennoch waren es nicht so sehr die Angriffe der Opposition, welche die Mienen der grün-roten Koalitionäre verdüsterten. Vielmehr schlägt die innere Zerrissenheit der Koalition in der Frage des Tiefbahnhofs allmählich auf die Gemüter. Die Empfindlichkeit steigt, die Gereiztheiten nehmen zu, Sozialdemokraten und Grüne beginnen, ihre jeweiligen Spielwiesen abzuzäunen und sich in ihren jeweiligen Ministerien einzubunkern. Man hält sich neuerdings gegenseitig Alleingänge und Durchstechereien vor, Ministerpräsident Winfried Kretschmann sah sich diese Woche zu einem Machtwort veranlasst, weil die SPD bei Stuttgart 21 mit der CDU gemeinsame Sache machte.

Zwar wird in der SPD das Treffen mit der CDU-Spitze - nicht zuletzt auch nach deutlicher innerparteilicher Kritik - ziemlich tief gehängt. Doch Fraktionschef Claus Schmiedel sah sich im Landtag veranlasst, gleich zu Beginn seiner Rede "etwas zur Beziehung zwischen Rot und Grün zu sagen". Süffisant rief sein CDU-Kollege Hauk dazwischen: "Herrscht schon Erklärungsnot?" Claus Schmiedel parierte: "Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen. Rot und Grün bleiben zusammen." Schon mal in Fahrt, nannte Schmiedel den FDP-Fraktionschef Rülke einen "Polit-Paparazzi", weil dieser nach Schmiedels Kaffeerunde im Stuttgarter Rathaus mit den CDU-Größen gefrotzelt hatte, da sei die SPD "in flagranti" beim Fremdgehen erwischt worden. Schmiedel replizierte: "Ich sage Ihnen, die Flamme lodert. Aber nicht für Sie, und auch nicht für Herrn Hauk."

Keine Hand hebt sich für Schmiedel

Der launig verpackte Treueschwur an die Grünen löste zwar Heiterkeit aus, doch am Ende rührte sich bei den Grünen keine Hand für Schmiedel. Denn in der Sache stellte sich der SPD-Mann den Grünen-Positionen zu Stuttgart 21 zwar konziliant im Ton, aber im Inhalt knallhart entgegen. Das war zuvor bei der Einbringungsrede von Verkehrsminister Hermann nicht anders gewesen, dessen Rede die SPD-Abgeordneten mit Schweigen quittierten. Hermann begründete die angestrebte Kündigung der Finanzierungsvereinbarung mit einem "Wegfall der Geschäftsgrundlage". Stuttgart 21 berge große Risiken, dagegen seien die Vorteile geringer als versprochen. Außerdem sei das Projekt "unfassbar teuer".

Nach der Debatte sagte ein alter SPD-Fahrensmann, die Koalition müsse aufpassen, dass sich das Misstrauen nicht weiter aufheize. "Da haben die Vorturner eine große Verantwortung, da kann man nicht mit der Schelle draufhauen." Mit der Volksabstimmung, dahin geht die Hoffnung in den rot-grünen Reihen, soll der Streit über Stuttgart 21 endlich so weit beruhigt werden, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit möglich bleibt und man endlichauch mit anderen Themen Beachtung findet. CDU-Fraktionschef Peter Hauk nannte das "einen verzweifelten Versuch, den Koalitionsfrieden in einer Regierung wiederherzustellen, die sich bereits nach wenigen Wochen verbraucht hat".

Neue Beteiligungskultur

Zugleich jedoch will man eine gesellschaftliche Befriedung erreichen. Der SPD-Landeschef Nils Schmid fasste dies im Deutschlandfunk in den Satz: "Wenn das Volk gesprochen hat, dann herrscht Schweigen." Allerdings tut sich die Koalition schwer damit, die Volksabstimmung als Auftakt zu einer neuen Beteiligungskultur im Land zu vermarkten. "Wenn es nach Grünen und SPD gegangen wäre", sagte die Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann, "dann hätte die Bevölkerung im Land schon sehr viel früher und häufiger die Möglichkeit gehabt, in wichtigen Sachfragen ihre Meinung zu sagen und ihre Stimme abzugeben."

Ihr SPD-Kollege Schmiedel hofft, dass die Volksabstimmung den Streit über den Tiefbahnhof dem Parteienstreit entzieht. "Wenn es zur Volksabstimmung kommt, dann ist es kein Thema der Fraktionen und der Parteien und der Regierung mehr, sondern dann ist das ein Thema des Volkes." Ob der Streit mit der Volksabstimmung endet, steht aber in den Sternen. FDP-Fraktionschef Rülke sagte, eine Kündigung der Finanzierungsvereinbarung werde dazu führen, "dass das Ganze vor Gericht nicht hält, denn die Bahn müsste das dann gerichtlich überprüfen lassen".

Volksabstimmung am 27. November

Antrag Das baden-württembergische Parlament hat am Freitag über das Ausstiegsgesetz zu Stuttgart 21 beraten. Am 28. September folgt die Abstimmung über den Gesetzentwurf, der den Ausstieg des Landes aus der Finanzierung des Milliarden-Bahnprojektes vorsieht. Dafür wird es aber keine Mehrheit geben.

Scheitern Die Regierung will den Gesetzentwurf bewusst im Landtag scheitern lassen und so eine Volksabstimmung herbeiführen. Die Landesverfassung sieht vor, dass es bei einem Konflikt zwischen Regierung und Parlament zu einer Befragung der Bürger kommen kann. Die Regierung prüft derzeit, ob die Volksabstimmung am 27. November stattfinden kann.