Die Tunnelröhren für den ICE zwischen Stuttgarter Hauptbahnhof und Ober- und Untertürkheim wachsen – jeden Tag um fünf bis acht Meter. Durch die Tieferlegung wurde das Eindringen von Grundwasser verringert.

Stuttgart - Es riecht nach Sprengstoff. Die Luft in dem sogenannten Zwischenangriff an der Ulmer Straße in Wangen ist warm und staubig. Die Maschinengeräusche von Radladern und Bohrwagen erfüllen den Zugangsstollen und die bisher drei Röhren, in denen einmal ICEs mit Tempo 160 fahren sollen. Die Tunnelröhren werden den Hauptbahnhof mit Ober- beziehungsweise Untertürkheim verbinden und auch den Neckar unterqueren, was laut Benjamin Denk, Teamleiter des Projektmanagements der DB Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm „eine Herausforderung“ ist.

 

Seit 29. April dürfen die eigentlichen Hauptvortriebsarbeiten gemacht werden – und zwar vier Meter tiefer als eigentlich geplant. Dies gilt für die gut dreieinhalb Kilometer lange Strecke von der Unterquerung der Gablenberger Hauptstraße bis zur Neckarunterquerung in Obertürkheim. Den Beschluss zur fünften Planänderung im Planfeststellungsabschnitt 1.6a hat das Eisenbahn-Bundesamt der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH zugestellt. Die Tieferlegung war notwendig geworden, weil beim Ausheben des Schachtes deutlich mehr Grundwasser zu Tage getreten war als erwartet.

Befürchtungen, dass durch die Tieferlegung das Mineralwasser tangiert werden könnte, weist Denk zurück. Zwischen den Röhren und der Mineralwasser führenden Schicht sei ein 30 Meter starker Riegel – „eine natürliche Dichtschicht“. Aufgrund der veränderten Linienführung komme es auch nicht zu Veränderungen beim Grunderwerb.

Fünf bis acht Meter pro Tag kommen die Mineure voran

Nun also darf wieder gesprengt werden, allerdings wegen der Sprengerschütterungen nur zwischen 7 und 20 Uhr. Erst wenn die Überdeckung groß genug sei, also unter Gablenberg hindurch, peile man einen 24-stündigen Durchlaufbetrieb an, so Benjamin Denk. Sechs Mineure werden dann im Dreischichtbetrieb arbeiten. Die Arbeit gestaltet sich mühsam. „Das ist blanker Fels“, sagt Denk. „Mit Bagger und Meißel geht da nicht mehr viel.“ Fünf bis acht Meter kommen die insgesamt rund 60 Arbeiter am Tag voran. Die beiden Röhren von Wangen in Richtung Hauptbahnhof sind bereits 81 und 90 Meter lang, die Röhre nach Obertürkheim 74 Meter.

Bis die knapp sechs Kilometer geschafft sind, dauert es also noch ein Weilchen. Trotz des Zeitverlustes durch die Sache mit dem Grundwasser geht Denk davon aus, dass der ursprüngliche Zeitplan eingehalten werden kann: „Faktisch haben wir vielleicht zwei bis drei Monate verloren, wir konnten den Zeitverlust aber gewinnbringend für vorbereitende Arbeiten nutzen.“ Somit solle der Rohbau 2018 fertig sein, die Inbetriebnahme Ende 2021 erfolgen.

Die Bezirksvorsteherin darf die Sprengung auslösen

Beate Dietrich bedauert allerdings den „ziemlich langen Stillstand“ durch die Planänderung. Die Wangener Bezirksvorsteherin ist bei dem Besichtigungstermin ebenfalls zugegen – aber als Tunnelpatin, wie sie betont. „Ich hab’ im Rathaus ausgestempelt“, sagt sie. Sie räumt ein: „Das Amt der Patin ist mir nicht leicht gefallen.“ Auch wegen der Höhenangst. Seit einem Höhentraining habe sie keine Angst mehr, in den 40 Meter tiefen kreisrunden Schacht hinunterzugucken und den Förderkorb zu besteigen. Inzwischen besucht sie regelmäßig die Baustelle, ist fasziniert von der Präzision, mit der die Mineure mittels eines 50 Tonnen schweren Bohrwagens ihre Sprengladungen setzen, die Zündschnüre zusammenbinden und sich Meter für Meter durch den Fels arbeiten. Ehrensache, dass die Patin bei dieser Gelegenheit auch einmal selbst den Auslöser für die Sprengung drücken darf.

Es tut mehrere starke Schläge, als das Bündel an Sprengladungen explodiert und die Druckwelle sich durch den Stollen ihren Weg sucht. Weiter vorn steht schon ein Radlader bereit, um den abgesprengten roten Mergel aufzunehmen und am Eingangsschacht in eine Wanne zu laden. Von dort wird das Gestein per Kran hochgezogen und in Lkws umgeladen – 40 seien es jeden Tag. Die meisten laden ihre Fracht in Dietingen bei Rottweil ab. Insgesamt werden es laut Denk eine Million Kubikmeter Ausbruch sein.

40 Lkws pro Tag fahren das ausgesprengte Gestein weg

Nervt das nicht die Anwohner? „Die Lkws fallen gar nicht auf“, sagt Beate Dietrich. Überhaupt sei sie „erstaunt, wie wenig Beschwerden bei mir im Rathaus ankommen – ich habe mit wesentlich mehr gerechnet“.