Die Mahnwache der Stuttgart-21-Gegner steht am Sonntag seit genau einem Jahr am Hauptbahnhof. Die turbulente Zeit wird nun gefeiert.  

Stuttgart - Seit Kurzem blühen Sonnenblumen an der Nordseite des Hauptbahnhofs.Wo einst Bäume standen, die im Zuge der S-21-Bauarbeiten weichen mussten, haben die Freiwilligen der Mahnwache einen Garten angelegt. Aus einer Protestaktion mit undichtem Pavillon ist eine etablierte Anlaufstelle geworden, die nun außer einem stabilen Zelt sogar einen Garten hat. Seit einem Jahr verharren die Gegner des Bahnprojekts rund um die Uhr am Nordausgang des Hauptbahnhofs und informieren über die Argumente, die gegen den Bau des Tiefbahnhofs sprechen. Jetzt feiern sie am Sonntag den ersten Geburtstag.

 

"Am Anfang wussten wir nicht, wie sich das hier entwickeln würde", sagt Sabine Schmidt, die zu den Initiatoren der Mahnwache zählt. Der Anfang, das war eine Handvoll aktiver Parkschützer, die es nicht mehr aushielten, die Hände in den Schoß zu legen. Mit einem Karton Kopien hätten sie sich vor den Nordflügel gestellt, erzählt die 50-jährige Aktivistin. "Unser Hauptanliegen war, den Park und den Bahnhof im Auge zu behalten und Alarm zu schlagen, wenn sich was tut", so Antje Küster, die wie Schmidt zu den ersten Wächtern im Zelt gehört hat. Ziemlich chaotisch sei es zunächst zugegangen, erinnert sich die Lehrerin. "Es war eine Art Partystimmung", so auch Schmidt. Deshalb wurden Regeln aufgestellt, die seitdem gelten. Dazu gehört: kein Alkohol, keine Zigaretten. Mittlerweile seien sie "super durchorganisiert", sagt sie. Im 18 Quadratmeter großen Zelt stapeln sich die Dienstpläne und die Übergabeprotokolle der Dreierteams. Die Spendendosen sind angekettet, den Schlüssel bekommen nur wenige.

"Es kommt vor, dass wir beschimpft werden"

Aufkleber, Fähnchen und den Aktionswochen-Flyer verteilen die Helfer an der Mahnwache. "Die meisten Besucher suchen das Gespräch und Gleichgesinnte", sagt Küster. Auch Reisende oder Passanten kämen vorbei, um sich zu informieren. "Manche fragen auch nur nach dem Weg oder stellen ihren Koffer unter", so Schmidt. Immer wieder hat es auch Befürworter des Bahnprojekts an den Stand verschlagen. "Einige von ihnen arbeiten jetzt in der Mahnwache", erzählt Schmidt. Nicht immer verliefen diese Begegnungen allerdings harmonisch. "Es kommt leider auch vor, dass wir beschimpft werden", so Küster. Auch von Konfrontationen mit dem normalen Partyvolk am Wochenende erzählt sie; vor allem zu Wasenzeiten habe es schwierige Situationen gegeben. Die Polizei vor Ort habe glücklicherweise ein Auge auf die Mahnwache.

Rund 600 Helfer seien in dem Jahr aktiv gewesen. "Alle Alters- und Berufsgruppen sind vertreten", sagt Küster. Die 49-Jährige selbst hat im ersten halben Jahr täglich bis zu acht Stunden an der Mahnwache verbracht, ebenso wie Schmidt. "Das geht an die Grenzen." Man sei auf das Verständnis von Familie und Freunden angewiesen, sagen beide. Über die privaten und finanziellen Opfer haben sie nicht nachgedacht. "Es war einfach klar, dass ich das so mache", sagt Schmidt.

Am turbulentesten sei es während des Nordflügelabrisses und der Schlichtung zugegangen, so Küster. Eine Zitterpartie war auch der Moment, als das Gelände in den Besitz der Bahn überging und sie nur geduldet waren. Nun sei die Mahnwache wieder angemeldet und auch der strapaziöse Winter gut überstanden, sagt Schmidt. Man sei sich einig in der Sache, erklärt Küster die Toleranz ihres Umfeldes und die Motivation der Ehrenamtlichen. Sie und Schmidt sind stolz auf das Durchhaltevermögen der Helfer: "Nach unseren Recherchen ist es die längste Mahnwache, die es je in Deutschland gab."