In der Diskussion um Risiken bekommt das Gremium unterschiedliche Standpunkte präsentiert. Sowohl für das Land wie auch für die Stadt sind längst nicht alle Fragen beantwortet.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Offenkundig hat es Gesprächsbedarf unter den Projektpartnern von Stuttgart 21 gegeben. Die auf Geheiß von Land und Stadt einberufene Sondersitzung des Lenkungskreises sprengte das vorgesehene Zeitkorsett. Erst eine halbe Stunde später als angekündigt traten am Mittwochabend Landesverkehrsminister Winfried Hermann, OB Fritz Kuhn (beide Grüne), Regionaldirektorin Nicola Schelling und Manfred Leger, Geschäftsführer der Bahn-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) vor die Presse. Die Runde hatte sich zuvor fast vier Stunden lang unterschiedliche Expertenmeinungen zum Tunnelbau im Anhydrit angehört. Die Gesteinsformation ist gefürchtet, weil sie beim Kontakt mit Wasser unkontrolliert zu quellen beginnt. Dieser Effekt kann auch noch nach Abschluss der eigentlichen Arbeiten eintreten.

 

Hermann warnt vor Tunnelsperrungen

Es sei naiv anzunehmen, dass nun alle Bedenken ausgeräumt wären, sagte Minister Hermann im Anschluss an die ausführliche Diskussion. Die Sitzung sei ein Gewinn gewesen, auch wenn die Einschätzung der eingeladenen Experten sich im Punkt Anhydrit gravierend voneinander unterschieden hätten. Während Walter Wittke, der Tunnelbausachverständige der PSU, darauf abhob, dass es jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit dem schwierigen Untergrund gebe und die Gefahren beherrschbar seien, bleiben die Schweizer Experten, die ein Gutachten im Auftrag des Bahn-Aufsichtsrats erstellt hatten, auf dem Standpunkt, dass es keine Methode gebe, die absolute Sicherheit biete. Sie schätzen die Eintrittswahrscheinlichkeit auf zwischen 0,5 und 13 Prozent ein. Für den Verkehrsminister steht deshalb fest: „Wir müssen weiter kritisch drauf blicken. Wenn der Feuerbacher Tunnel auf Zeit gesperrt werden muss, ist der Bahnhof nicht funktionsfähig“.

Er erkannte an, dass die Bahn Vorkehrung treffe. So ließen sich etwa Hebungen von bis zu zehn Zentimeter durch das Gleisbett ausgleichen. Positiv wertete Hermann das klare Ja der Bahn auf die Frage, ob sie die Verantwortung für die Risiken bei Bau und Betrieb der Tunnel übernehme.

Kuhn mahnt Diskussion im Aufsichtsrat an

OB Kuhn bekräftigte die Worte seines Parteifreundes und verwies darauf, dass die Bahn durchaus auf die Erfahrungen in der Region reagiere, wo beispielsweise der ebenfalls im Anhydrit liegende Engelbergtunnel der A 81 bei Leonberg aufwendig saniert werden müsse. „Die Bahn ergreift Maßnahmen in Höhe von 144 Millionen Euro“, rief der Rathauschef in Erinnerung. Kuhn verwies darauf, dass laut den Gutachtern des Aufsichtsrats die Wahrscheinlichkeit für Schäden nach der Inbetriebnahme abnehme. Für ihn unverständlich sei, dass sich der Aufsichtsrat der Bahn noch nicht mit dem Anhydritthema beschäftigt hat. „Ich will hoffen, dass der Aufsichtsrat bald wieder in der Lage ist, das zu diskutieren“, sagte Kuhn in Anspielung auf die jüngste Sitzung der Aufseher, die zum Rückzug von Bahnchef Rüdiger Grube geführt hatte. Auch Kuhn sah weiterhin offene Fragen.

Regionaldirektorin Nicola Schelling sagte, es liege in der Natur von Großprojekten, dass es Risiken gebe – und gleichfalls, dass diese unterschiedlich bewertet würden. „Dass der Hasenbergtunnel der S-Bahn zwischen Schwabstraße und Vaihingen, der auch im Anhydrit liegt, seit 40 Jahren ohne Komplikationen funktioniert, lässt uns positiv in die Zukunft blicken.“

Bahn sieht sich auf gutem Weg

Für Stuttgart 21 muss die Bahn in allen vier auf den künftigen Bahnhof zuführenden Tunnel Abschnitte im Anhydrit meistern. Laut Manfred Leger, Chef der Projektgesellschaft, seien aber vor allem die Bereiche, in denen der Tunnel in den Anhydrit eintritt und jene, wo er ihn wieder verlässt, relevant. Solche Zonen hätten die Mineure aktuell auf einer Länge von 1960 Metern durchfahren. „Das entspricht in etwa zwei Dritteln der kritischen Abschnitte“, sagte Leger.

Die aktuellen Gebäudeschäden am Kriegsberg hätten nichts mit dem quellfähigen Gestein zu tun, das zu Hebungen führen würde, während die entstandenen Beeinträchtigungen auf Senkungen zurückzuführen seien. Wenn die Risse auf den Tunnelbau zurückzuführen seien, übernehme die Bahn die Schadensregulierung.