Von 100 Zugstopps im Flughafenbahnhof von Stuttgart 21 ist keine Rede mehr. Doch auch darüber hinaus wirft der Vorstoß der Bahn, keine ICE-Züge dort halten zu lassen, viele Fragen auf.

Stuttgart - Nicht nur die jahrelang verfolgten Kosten- und Zeitpläne beim Projekt Stuttgart 21 drohen zu Makulatur zu werden, auch hinter die viel zitierte neue „Verkehrsdrehscheibe“ am Flughafen Stuttgart muss jetzt ein Fragezeichen gesetzt werden.

 

Was wollen die Bahn-Verantwortlichen wirklich? Am Montag hatte ein Sprecher des Geschäftsbereiches Fernverkehr der Bahn AG bestätigt, dass im Moment nur sechs tägliche Stopps von Fernverkehrszügen im geplanten Flughafen-Fernbahnhof vorgesehen seien. ICE seien nicht geplant. Am Dienstag hieß es in einer Pressemitteilung der Bahn plötzlich, entgegen Medienberichten stehe man zu den Zusagen für die Anbindung des Stuttgarter Flughafens an das Fernverkehrsnetz. Als die Projektpartner bei Stuttgart 21 im Jahr 2009 die Finanzierungsvereinbarung unterschrieben hatten, standen rund 100 Stopps von Fernverkehrszügen in Rede.

Wie kam die Bahn auf die 100 Stopps?

2009 wurde zum Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 aus dem damaligen Bundesverkehrswegeplan 2003, der die Schienenausbauten bis dahin beschrieb, ein „Betriebsszenario 2015“ konzipiert. Daraus ergab sich das Verkehrsangebot für den Tief- und Flughafenbahnhof. Für den Airport stehen im Papier für den Fernbahnhof Richtung Ulm/München „64 Züge des Hochgeschwindigkeitsverkehrs“ und „36 Züge des ergänzenden Fernverkehrs“.

Warum soll es jetzt nur sechs Halte von ICs geben?

Die Bahn argumentiert mit fehlenden Ausbauten in der Republik. „DB Fernverkehr meint, die Verspätung, die durch den fehlenden Ausbau zwischen Frankfurt und Mannheim eintritt, durch das Auslassen des Halts am Flughafen teilweise kompensieren zu müssen“, sagt ein Sprecher von Verkehrsminister Winfried Hermann. Der Ausbau werde „voraussichtlich erst in den 2030er Jahren fertiggestellt sein“.

Ist die Rechnung üblich?

Die Abschätzung mit dem Verkehrswegeplan ist der Standard. Man plane auf der Grundlage von Prognosen, sagt Matthias Lieb, der Vorsitzende des Verkehrsclub Deutschland für Baden-Württemberg. Auch am Flughafen Köln/Bonn habe man zunächst hohe Zahlen gehabt. Lieb merkt an, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Investition in die Infrastruktur durch die Änderung „nach unten“ gehe. Aus dieser Rechnung ergeben sich Zuschüsse für die Bahn von Bund und Land.

Welche Züge fahren sonst noch?

Die neue Strecke Stuttgart-Ulm will das Land samt Halt am Flughafen-Fernbahnhof mit werktäglich 18 Interregio-Zügen je Richtung bedienen. Am Bahnhalt für die Gäubahn bei den Terminals sollen außerdem 16 Fernzüge je Richtung und Tag nach Rottweil, Singen und Zürich fahren.

Wie wichtig sind die Stopps der Fernzüge im Flughafenbahnhof für den Airport?

Grundsätzlich erwartet sich die Flughafengesellschaft von dieser Einbindung, in den neuen Bahnknoten, zu der auch die Gäubahnanbindung aus Singen gehört, bis zu 1,2 Millionen zusätzliche Fluggäste pro Jahr – und zwar langfristig und im Saldo, das heißt nach Abzug von rund einer halben Million Passagiere, die an das attraktivere Schienennetz verloren gehen sollen. Dabei stützt man sich auf ein Gutachten der Firma Intraplan aus dem Jahr 2008.

Hat die Flughafengesellschaft deshalb so viel mitbezahlt?

Ja, vor diesem Hintergrund hat die Flughafen-GmbH 359 Millionen Euro für das Bahnprojekt zugesagt. 2018 soll die letzte Rate von etwa 55 Millionen Euro an die Bahn fließen. Durch kürzere Fahrtzeiten auf der Schiene zum Flughafen wächst der Einzugsbereich, aus dem der Airport in maximal 90 Minuten erreichbar ist. Dadurch erwartet man sich mehr Fluggäste aus dem Korridor Stuttgart-Augsburg sowie aus dem Allgäu und Oberschwaben, aber auch aus Richtung Schweiz und Bodensee. Da die Fahrzeit von Mannheim um 19 Minuten abnehmen soll, könnten auch von dort zusätzliche Fluggäste kommen, trotz des nahen Flughafens Frankfurt, sagt Flughafensprecher Johannes Schumm.

Wo kommen die Flugreisenden bisher her?

Da gebe es wenig verlässliche Erkenntnisse, heißt es. Aus Befragungen wisse man, dass 97 Prozent aus Baden-Württemberg kommen, rund 66 Prozent aus der Region Stuttgart sowie aus den Kreisen Reutlingen und Tübingen. Der Rest verteile sich recht gleichmäßig in der Fläche. Deshalb sei für den Flughafen die Fernbahnverbindung in Richtung Ulm, die Anbindung des Regionalverkehrs über die Gäubahn und die schnelle Verbindung aus der Stadt mit Regional- und Fernverkehrszügen so wichtig.

Wie ist die Situation für die Messe?

Sie erhofft sich vom Flughafenbahnhof eine Entlastung für die Straße rund um die Hallen. Genutzt werden könnte er besonders von Tagesbesuchern aus dem süddeutschen Raum bis nach München, sagt Messe-Sprecher Markus Vogt. Von 1,3 Millionen Besuchern kämen heute 400 000 mit Bahnen und Bussen, bei Fachmessen im Schnitt 25 Prozent, sonst rund 50 Prozent.