Die von Grünen und SPD versprochene Volksabstimmung wäre für die Gegner von Stuttgart 21 nur zu gewinnen, falls die Verfassung geändert würde.

Stuttgart - Die Gegner des Projekts Stuttgart 21 sehen sich seit dem vergangenen Wahlsonntag auf der Gewinnerseite: Das gute Abschneiden in der Landeshauptstadt mit drei Direktmandaten und im Land sowie die künftige Regierungsbeteiligung lässt sie darauf hoffen, dass der Kopfbahnhof nicht tiefergelegt wird. Die Ankündigung der Deutschen Bahn, Bau- und Vergaben vorübergehend einzustellen, hat ihre Zuversicht weiter gesteigert.

 

Doch auch die Befürworter sind derzeit noch optimistisch. Die Finanzierungsvereinbarung über das Bahnprojekt gilt auch nach dem Wechsel; sie schreibt dem Land (nicht etwa der Landesregierung) lediglich vor, erst dann mit der Bahn Gespräche über eine Änderung aufzunehmen, falls der Kostenrahmen (4,52 Milliarden Euro) gesprengt würde. Davon ist offiziell nichts bekannt. Der von SPD und Grünen in ihren Programmen versprochenen Volksabstimmung sehen sie sogar zuversichtlich entgegen, denn die Landesverfassung minimiert die Siegeschancen der Projektgegner.

Ein Drittel der stimmberechtigten Bürger muss zustimmen

Bei der Volksabstimmung entscheidet zwar die einfache Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Das Gesetz ist aber erst dann beschlossen, wenn mindestens ein Drittel der 7,6 Millionen stimmberechtigten Bürger im Land zustimmt. Das bedeutet nichts anderes, als das diejenigen, die für das Bahnprojekt sind, aufgefordert sind, zu Hause zu bleiben. Dann nämlich müssen mindestens 2,54 Millionen Gegner an einem Wahlsonntag ihre Stimme abgeben, um das Quorum zu erreichen. Zum Vergleich: bei der Landtagswahl mit sehr hoher Beteiligung stimmten "nur" 1,2 Millionen Bürger für die Grünen. Selbst wenn man die Hälfte der 1,15 Millionen Wähler der in dieser Frage gespaltenen SPD hinzurechnet, kämen die S-21-Gegner auf 1,775 Millionen Stimmen. Es fehlte noch eine halbe Million Sympathisanten.

"Das ist jetzt nicht unser Problem, sondern das der Grünen", hat der Stuttgarter Kreisvorsitzende und Pressesprecher des SPD-Landesverbandes, Andreas Reißig, am Mittwoch klargemacht. "Wir werden bei der Volksabstimmung für das Projekt werben." Reißig räumt ein, dass dieser Absatz in der Landesverfassung geändert werden sollte - und verweist auf die vergangenes Jahr abgelehnte Forderung von SPD und Grünen, das bisherige Quorum abzuschaffen, so dass künftig die Mehrheit der abgegebenen Stimmen reichte. Grüne und SPD hätten die Chance, die Verfassung im Sinne von mehr direkter Demokratie vor der Volksabstimmung zu ändern; dafür bräuchten sie allerdings die Stimmen der Opposition. CDU und FDP hatten diesen Vorstoß allerdings schon einmal ebenso abgelehnt wie auch den Antrag der SPD auf einen Volksentscheid im Oktober vergangenen Jahres wegen rechtlicher Bedenken.

Kann ein Volksentscheid das Riesenprojekt stoppen?

Das Wahlversprechen der Grünen ist in der Abstimmungsfrage eindeutiger formuliert als das der Sozialdemokraten. Sie sagten in ihrem "Sofortprogramm" lediglich einen Volksentscheid über den Tiefbahnhof zu, versprachen in ihrem offiziellen Programm allerdings eine Abstimmung sowohl für Stuttgart 21 wie auch für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Eine Differenzierung zwischen S21 und der aufgepeppten Plus-Variante wurde nicht vorgenommen.

Eines ist trotz der gemeinsamen Freude, die CDU nach 58 Jahren auf die Oppositionsbank geschickt zu haben, klar: Nach dem heutigen Stand wollen die künftigen Koalitionspartner mit konträren Vorsätzen in die verbindliche Abstimmung über ein Ausstiegsgesetz gehen. Die Grünen wollen Stuttgart 21 verhindern, die SPD bleibt eine Befürworterpartei. Dafür werden Abgeordnete wie Wolfgang Drexler und Claus Schmiedel sorgen.

Die geringen Chancen im Falle eines Volksentscheids und der Umstand, dass es bei dieser Ausgangslage garantiert einen Verlierer in der Regierung gäbe, zwingen die Grünen, einen Weg zu finden, Stuttgart21 zu verhindern, ohne ihr Wahlversprechen brechen zu müssen. Das könnte gelingen, indem man den Nachweis erbringt, Stuttgart 21 sei nicht realisierbar, so dass der Bauherr Bahn selbst das Projektende erklären müsste.

Die Alternative "Kopfbahnhof" hat kaum ein Chance

Der Tübinger Oberbürgermeister und Bahnverkehrsexperte Boris Palmer ist überzeugt, dass der bis Sommer beendete Stresstest genau dies zeigen werde. Der Tiefbahnhof werde die geforderte Leistungsfähigkeit auch nicht durch umfangreiche bauliche Nachbesserungen erbringen, so dass alle Vertragspartner ein Projektende beschließen und sich der Alternative Kopfbahnhof zuwenden würden.

Aus Sicht der Grünen gibt es aber nicht nur eine bahntechnische, sondern auch eine finanzielle Notwendigkeit, Stuttgart 21 rasch zu beenden, so dass es gar nicht zur Abstimmung gestellt werden könnte. Bereits derzeit betragen die Gesamtkosten 4,088 Milliarden Euro - in diesem Betrag sind noch unsichere Einspar- und Optimierungspotenziale von fast einer Milliarde Euro eingerechnet. Nachdem Bahn-Chef Rüdiger Grube erklärt hat, das Projekt sei für den Konzern nur bis zu 4,6 Milliarden Euro wirtschaftlich, ist er bei Kostensteigerungen auf die Hilfe der Landesregierung angewiesen. Diese drohen nun infolge des Stresstests und wegen vieler planerischer Probleme auf den Fildern im Umfang von mehr als einer Milliarde Euro.

Boris Palmer hegt die Hoffnung, dass sich die SPD vor diesem Hintergrund nicht länger für das Projekt verkämpft und sich die Regierungpartner einig werden, den Kopfbahnhof zu erhalten. Kreischef Reißig stellt dagegen klar: "Mit uns wird es im Vorfeld keine Mauscheleien geben."