Die Mischfinanzierung des Bahnprojekts Stuttgart 21 steht im Zentrum des neuerlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. Die Kammer will ihre Entscheidung am Freitag bekannt geben.

Stuttgart - Die 7. Kammer des Stuttgarter Verwaltungsgerichts hat sich am Mittwoch erneut mit einem Bürgerbegehren zu Stuttgart 21 beschäftigt. Auf den Tag genau vor vier Jahren hatte sich dieselbe Kammer schon einmal mit dem Thema befasst – und einen Bürgerentscheid verworfen. Unter dem Vorsitz von Richterin Silvia Thoren-Proske verhandelte die Kammer nun die Klage der drei Vertrauensleute des Bürgerbegehrens „Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21“, das im Frühjahr 2011 von rund 35 000 Bürger unterschrieben, aber vom Gemeinderat und dem Regierungspräsidium für rechtswidrig erklärt worden war.

 

Gegner sehen Verstoß gegen das Grundgesetz

Im Mittelpunkt des neuen Vorstoßes steht die Frage, ob die Mischfinanzierung des Projekts gegen die Verfassung verstößt, ob also Stadt, aber auch Land und Region für die Mitfinanzierung eines Schienenprojekts herangezogen werden können. Die Kläger, Axel Wieland vom BUND, Rechtsanwalt Bernhard Ludwig sowie die Regisseurin und Produzentin Sigrid Klausmann-Sittler sowie ihr Anwalt Hans-Georg Kluge, verneinen dies und fordern, die Landeshauptstadt müsse die Finanzierungsvereinbarungen kündigen. Die Stadt, vertreten durch den Rechtsanwalt Christian Kirchberg, sieht in der Mitfinanzierung keinen Widerspruch zum Artikel 104a des Grundgesetzes. Der besagt, dass die Finanzierung von Bundesaufgaben nicht auf Länder oder Kommunen abgewälzt werden kann. Ansonsten bestünde die Gefahr, so die Kläger, dass sich reiche Länder und Kommunen Infrastrukturprojekte quasi „kaufen“ könnten.

Im Zuge der Verhandlung lehnte das Gericht insgesamt 14 Beweisanträge der Kläger ab: Sie hatten die Ladung diverser Staatssekretäre im Bundesverkehrsministerium und Bahnaufsichtsräte sowie des Landesverkehrsministers Winfried Hermann verlangt. Diese sollten etwa bezeugen, dass die Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro dem Bahn-Aufsichtsrat schon seit 2008 und damit vor Abschluss der Finanzierungsvereinbarung 2009 bekannt war und dass das Projekt nicht finanziert sei. Die SÖS-Stadträte Hannes Rockenbauch und Gangolf Stocker sollten zu der Frage vernommen werden, ob Ex-OB Wolfgang Schuster (CDU) den Gemeinderat vor dessen Zustimmung zur Beteiligung an S 21 über die verfassungsrechtliche Problematik informiert habe. Diese Antworten seien aber für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „nicht entscheidungserheblich“, so die Kammervorsitzende. Die Aufgabenstellung des Gerichts sei nicht, zu klären, ob die politischen Gremien oder Finanzierungspartner der Bahn getäuscht worden seien.

Kammer gibt erst am Freitag die Entscheidung bekannt

Ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Hans Meyer stützt die Rechtsauffassung, dass die Mischfinanzierung nicht zulässig sei. Die Expertise war Ende 2010 im Auftrag des damaligen Oppositionsführers im Landtag und heutigen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) erstellt worden. Meyer erklärte die Finanzierungsverträge zu S 21 und der ICE-Strecke nach Ulm für nichtig, weil es sich um originäre Projekte des Bundes handele und Stadt und Land allenfalls einen „Kollateralnutzen“ davon hätten. Kretschmann hatte unter Berufung auf das Gutachten angekündigt, im Fall einer Regierungsbeteiligung der Grünen aus den Verträgen auszusteigen: „Wir werden die Zahlungen sofort einstellen und bereits gezahlte Beträge zurückverlangen. Mit uns wird es keine Fortsetzung des Verfassungsbruchs geben.“ Als Regierungschef fühlt er sich eher dem Koalitionsvertrag und dem Ergebnis der Volksabstimmung über die Mitfinanzierung des Landes verpflichtet.

Der Verwaltungsjurist Hans-Peter Dolde hatte in einem Gutachten für die Stadt das Projekt also „unechte Gemeinschaftsaufgabe“ bezeichnet. Das Bundesverwaltungsgericht kam in einem anders gelagerten Fall 1989 zur Auffassung, Artikel 104a verbiete nicht, dass Bund, Länder und Gemeinden dort finanziell kooperieren, wo sich ihre Kompetenzen überschneiden. Andere Juristen sind der Ansicht, der Paragraf betreffe die privatisierte Bahn nicht, obwohl sie noch zu 100 Prozent im Besitz des Bundes ist.

Die Kläger warben darum, das Bürgerbegehren nicht aus formalen Gründen abzuschmettern. Ihre Entscheidung will die Kammer am Freitag bekannt geben.