Herr Hermann, ist es nicht skurril, dass Sie immer vehement gegen einen Tiefbahnhof in Stuttgart gekämpft haben und nun der sind, der den Bau eines zweiten Tiefbahnhofs ins Gespräch bringt?
Das soll ja nicht wirklich ein Tiefbahnhof werden, sondern eine unterirdische Station für S-Bahnen und Nahverkehrszüge. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die Stadt die Flächen komplett bebauen möchte, auf denen heute noch Gleise liegen. Und dann gibt es eben nur noch eine Möglichkeit, dass man mit dem Verkehr in die Ebene darunter geht.
Untersucht die am Dienstag eingesetzte Arbeitsgruppe von Bahn, Land, Stadt und Region die Idee eines unterirdischen zusätzlichen Halts ergebnisoffen?
Die Arbeitsgruppe soll zunächst einmal einige Fakten checken. Schließlich gibt es ja auch unterschiedliche Einschätzungen, ob es den Bedarf für einen zusätzlichen Halt wirklich gibt. Dann muss die Realisierbarkeit geprüft und die Frage geklärt werden, wie eine planerische Vorsorge getroffen werden kann und wie am Ende eine Finanzierungsmöglichkeit aussehen kann. Es wird aber in der Gruppe nicht nur über diese Station geredet, sondern über den gesamten Knoten. Wo gibt es da im Zulauf Engpässe? Wo müssen wir noch nachlegen?
Und die Arbeitsgruppe kann vollkommen frei agieren?
Wir haben Prämissen gesetzt. Stuttgart 21 wird gebaut, so wie es in der Finanzierungsvereinbarung festgelegt ist. Daran wird nicht gerüttelt. Wir anerkennen, dass die Stadt als Eigentümerin über die Flächen verfügt. Und zuletzt darf der Baufortschritt nicht gestört werden. Über allem steht die Frage, wie wir die Verdoppelung der Fahrgastzahlen hinbekommen. Und zwar nicht nur im Fernverkehr, sondern auch bei den Regionalzügen und den S-Bahnen. Meine Einschätzung ist, dass wir das auf der bisher geplanten Infrastruktur nicht schaffen.
Sie halten den künftigen Stuttgarter Bahnhof für zu klein, um den Mehrverkehr zu bewältigen. Die Bahn behauptet das Gegenteil, lügt die Bahn?
Die Verdopplung ist ja ein neues Ziel. Und die Bahn bezieht sich in ihren Äußerungen auf den Fernverkehr, für den sie zuständig ist. Sie redet nie über die S-Bahn. Aus unserer Sicht hat die S-Bahn in ihrer heutigen Form einen wirklichen Engpass – das ist der Tunnel zwischen dem Hauptbahnhof und der Schwabstraße. Der stellt das Limit beim Ausbau der S-Bahn dar. Zwar bringt ETCS ein Mehr an Fahrplanstabilität und eine Kapazitätssteigerung von 10 bis 20 Prozent. Aber dann ist da auch Schluss mit dem Zuwachs.
Ihr Vorstoß hat im Stuttgarter Rathaus zumindest Irritationen ausgelöst. Haben Sie nicht genug Vorarbeit geleistet?
Zugegebenermaßen habe ich sehr lange die Hoffnung gehabt, dass wir einen Teil der oberirdischen Gleise erhalten können. Diese Idee ist aber nicht realisierbar. Das muss man sich abschminken. Es gab aber im letzten Jahr einen Arbeitsprozess zwischen Land und Stadt, der mögliche Optionen der unterirdischen Infrastrukturergänzung im Stadtzentrum betrachtet hat – zunächst rein eisenbahntechnisch. Das ist ja eine Option, die der ehemalige SSB-Chef Wolfgang Arnold schon vor Jahren ins Spiel gebracht hatte. Auch der Regionalverband war informiert. Ich muss aber nochmals klarmachen: Das ist nun ein Vorstoß aus meinem Haus und nicht die Linie der Landesregierung.
Eigentlich sollte das hier ein Doppelinterview mit dem OB Kuhn und Ihnen werden. Das hat das Rathaus abgelehnt. Herrscht Funkstille zwischen Ihnen?
Mein Kontakt zu Fritz Kuhn ist bestens. Der OB wird letztendlich als Chef der Stadt wahrgenommen. Er ist aber natürlich vom Gemeinderat abhängig. Und wenn der dagegen ist, dann kann er nichts machen. Ich habe dem OB aber erklärt, dass mein Fokus als Verkehrsminister auf einen funktionierenden Verkehr gerichtet ist. Der OB hat den Fokus auf die rasche Bebauung des Geländes gelegt. Kluge Stadtentwicklungspolitik denkt Bauen und Verkehr zusammen. Und das sieht auch der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt so.
Sind Sie zuversichtlich, dass sich unter dem neuen Gemeinderat etwas an dieser Haltung ändert?
Ich habe eine gewisse Hoffnung, dass ein neuer Gemeinderat noch mal nachdenkt. Das Projekt stammt konzeptionell aus den 90er Jahren. Dann ist es doch nur recht und billig, wenn man sich noch mal Gedanken macht. Vor 30 Jahren hat noch niemand so über Klimaschutz oder Verkehrswende geredet, wie wir das heute machen.
Justizminister Wolf (CDU) hat am Dienstag gesagt, dass man sich zwar Gedanken machen könne, Ihr Vorstoß sei aber nicht mit der Koalition abgesprochen. Belasten Sie das Klima im Regierungsbündnis?
Die CDU sieht das sicher so. Das war aber nicht meine Absicht. Ich habe mit vielen im Vorfeld gesprochen und gesagt, ich werbe für diese Idee. Und dass Veränderungen möglich sind, zeigen die Einigungen beim Regionalhalt Vaihingen, bei der großen Wendlinger Kurve, beim Bahnhof in Merklingen und beim dritten Gleis am Flughafen.
Die Stuttgarter Rathaus-SPD meint, eine Ausweitung des Regionalverkehrs sei schon deswegen nicht in wünschenswertem Umfang möglich, weil das Land zu kleine Züge bestellt habe. Trifft die Kritik zu?
Das ist eine sehr einfache Logik, die natürlich nicht stimmt. Wahr ist: Die Bahn legt bei ihren Berechnungen Doppelstockzüge zugrunde. Die sind kürzer und machen damit Doppelbelegungen eines Gleises möglich. Wir haben bei unseren Ausschreibungen konsequent auf einstöckige Züge gesetzt, weil damit das Ein- und Aussteigen zügiger klappt. Zum Zeitpunkt der Ausschreibung gab es außerdem nur einen Lieferanten, der Doppelstockzüge anbot. Das ist nun nicht mehr so. Wir bauen derzeit den Fuhrpark des Landes weiter aus, und dabei wird es auch Doppelstockzüge für die Region Stuttgart geben. Die anderen Züge können wir perspektivisch auch in anderen Landesteilen einsetzen.
Wie zufrieden sind Sie mit der Leistung, die die neuen Anbieter im Regionalverkehr, Abellio und Go Ahead, seit anderthalb Monaten erbringen?
Natürlich nicht sehr. Wir hatten vertraglich vereinbart, dass die neuen Züge sechs Wochen vor Betriebsstart zum Einfahren da sind. Dann hat uns die Bahnindustrie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bombardier hat von 18 Zügen gerade mal zwei geliefert. Stadler hat nicht sechs Wochen, sondern drei Tage vor Betriebsbeginn die Zulassung der Fahrzeuge erlangt, damit war die Testphase zu kurz. Dass beide große Unternehmen nicht in der Lage sind, Züge rechtzeitig zu liefern, wirft ein schlechtes Licht auf den Zustand der Bahnindustrie.