Der Streit um mögliche Verspätungen der S-Bahn aufgrund des Bauprojekts Stuttgart 21 schwelt weiter. Am Montag kam heraus: die Bahn hat dem Gutachter aus Dresden nicht alle notwendigen Daten übermittelt.

Stuttgart - Es hätte ein Tag werden können, an dem vieles geklärt wird. Doch statt dessen wurde es ein Tag, der mehr Fragen aufwarf als beantwortet wurden. Am sechsten Tag der Erörterung der S-21-Flughafenanbindung ging es um die geplante Mischnutzung der Gleistrasse durch Leinfelden-Echterdingen und des Flughafenbahnhofs durch S-Bahnen und Regionalzüge. Verursacht diese Lösung noch mehr Verspätungen im S-Bahn-Netz der Region oder taugt dieses Konzept für die Zukunft? Befeuert wurde diese Frage durch ein von der Stadt Leinfelden-Echterdingen bei der Technischen Universität Dresden in Auftrag gegebenes Gutachten. „Die Verspätungen schaukeln sich auf“, bilanziert Verkehrswissenschaftler Uwe Steinborn, „die Pläne können nicht zur Realisierung empfohlen werden“. Ein weiterer S-Bahn-Ausbau, etwa die Verlängerung nach Neuhausen oder ein verlässlicher Zehn-Minuten-Takt, sei mit dem Konzept nicht zu realisieren.

 

Baubürgermeisterin verschlägt es die Sprache

Eine nachvollziehbare Klärung mit der Bahn, ob Steinborns Aussagen zutreffend sind, wurde vor allem dadurch verhindert, dass die Bahn dem Dresdner Verkehrswissenschaftler zwar eine Vielzahl von Unterlagen überließ, aber eben nicht alle, wie sie am Montag überraschend einräumte – weil er sie nicht dazu aufgefordert habe, sagten die Vertreter der Bahn; weil sie trotz seiner Anforderung nicht herausgegeben wurden, konterte Steinborn. Nicht nur Eva Noller, Baudezernentin von Leinfelden-Echterdingen, verschlug es ob der Volte der Bahn fast die Sprache. „Das kann doch nicht ihr Ernst sein“, sagte sie an die Bahn-Vertreter gerichtet. Da lasse die Stadt für Steuergeld ein Gutachten erstellen, mache es öffentlich und nun erkläre die Bahn, wichtige Daten stimmten nicht. Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft Filder sprach von einer „blanken Geisterdiskussion“ und forderte die Unterbrechung der Verfahrens, bis die Gutachter die aktuellen Zahlen zur Verfügung gestellt bekämen, was vom Versammlungsleiter Michael Trippen vom Regierungspräsidium Stuttgart aber abgelehnt wurde. Eine Erörterungsverhandlung diene dazu, solche Differenzen aufzuzeigen.

Und in der Tat: die Positionen der Bahn und von Steinborn sind so weit auseinander wie die Endpunkte der Magistrale Paris-Bratislava, zu der S 21 gehört. Die Bahn geht davon aus, dass die Flughafenstation, die Bestandsstrecke durch Leinfelden-Echterdingen und die Rohre Kurve ausreichend Reserven haben, um sowohl im Ganztagestakt als auch in den Spitzenstunden um die bis zu drei Züge stündlich mehr aufzunehmen. „Die Kapazitäten sind auch ausreichend, um künftige Angebote zu verwirklichen“, sagte Thomas Kaspar von der Bahn: „Die Filder sind heute kein Engpass, und sie werden künftig kein Engpass werden.“ Dies habe auch der Stresstest bewiesen – jene Simulation also, die nach Ansicht der Bahn eine wirtschaftlich optimale Betriebsqualität nachgewiesen hat.

Steinborn: Bahn operiert mit zu geringen Haltezeiten

Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt Steinborn in seiner Untersuchung. Die Bahn operiere mit zu geringen Haltezeiten und mit idealen Wendezeiten für die S-Bahnen, die in der Realität nicht zu erreichen seien. „Deshalb werden im Stresstest Verspätungen abgebaut, was in Wirklichkeit nicht möglich wäre“, sagte er. Die Simulationen seines Instituts hätten ergeben, dass künftig die S-Bahn-Linie 2, die Regionalzüge und die ICE nicht stabil verkehrten. „Bei ihnen werden Verspätungen nicht abgebaut, sondern steigen immer weiter an“, sagte Steinborn.

Problematisch seien die Rohrer Kurve, wo sich S-Bahn-und Gäubahngleise kreuzen, und die neue Flughafenstation, in der die S-Bahn nicht mehr an zwei Bahnsteigkanten halten könne, sondern nur noch an einer, weil die andere für Regionalzüge und ICE reserviert ist. Die Bahnvertreter warfen Steinborn vor, geringfügige Verspätungen zu dramatisieren. „Selbst wenn es stimmt, sind 3,5 Sekunden Verspätung für einen Fahrgast nicht bedeutend“, sagte Kaspar. Ganz anders interpretierte Rainer Wirsing, der Anwalt von Leinfelden-Echterdingen, das Gutachten. Die Pläne würden den Anforderungen an eine zukunftsfähige Lösung nicht gerecht, weil sie zusätzliche Verspätungen und Engpässe schafften. „Die Bahn muss für eine langfristig tragfähige Infrastruktur planen“, sagte er. Empörte Pfiffe erntete DB-Fahrplanchef Christian Becker, als er sich zu der Behauptung verstieg, dass das kritische Gutachten des Dresdner Professors letztlich die Planung der Bahn bestätigen würde. „Für das Verschweigen und Vertuschen gehören Sie eigentlich ins Gefängnis“ schallte es den Projektplanern entgegen.

Zu Wort meldeten sich am Montag auch die Lokalpolitiker: Neben dem Filderstädter SPD-Rat Walter Bauer, der auf eine pünktliche S-Bahn pochte und LE-Bürger-Rätin Sabine Onayli, die eine Unterbrechung der Erörterung bis zur Vorlage prüfbarer Unterlagen forderte, sprach Ingrid Grischtschenko, Stadt- und Regionalrätin der Grünen: „Bei der Projektvorstellung hat der Gemeinderat den Bahnplanern vor zwei Jahren exakt diese Fragen mit auf den Weg gegeben. Tun Sie bitte nicht so, als ob sie das alles nicht gewusst hätten“, klagte sie über die Erörterungsstrategie der Bahn.