Im Internet ruht der Konflikt um Stuttgart 21 nie. Beim Posten, Bloggen und Twittern geht es um Aufmerksamkeit und Selbstvergewisserung.

Stuttgart - Es ist schon vorauszusehen, was passiert, wenn die ersten offiziellen Ergebnisse des begutachteten Stresstests zum umstrittenen Tiefbahnhof Stuttgart 21 durchsickern: Sie werden zunächst live auf allen möglichen Kanälen im Internet analysiert und bewertet. Im Netz gibt es kaum Pausen, wenn es um „das“ Konfliktthema in Baden-Württemberg geht. Ein dauernder Fluss von Kommentaren, Kurznachrichten und Blogeinträgen beschäftigt sich mit dem Für-und-Wider des Milliardenprojekts.

 

Oft schon morgens verschicken die "Parkschützer" per Kurznachricht bei Twitter einen Überblick über die jüngsten Medienberichte zu Stuttgart 21. Zugleich läuft meist schnell eine Diskussion auf der Plattform, wer recht hat, was denn Schlichter Geißler nun schon wieder gesagt hat oder warum die neue Landesregierung sich richtig oder nicht richtig verhält.

"Parkschützer" waren früh im Netz

„Zeitlich waren wir früh dran mit unseren Internetseiten und den anderen Angeboten“, sagt Matthias von Herrmann, Sprecher der "Parkschützer", der vehementesten Bahnprojektgegner. „Aber eigentlich haben wir zum Beispiel auf der Seite der "Parkschützer" anfangs nur eine Art virtuelle Unterstützerliste angelegt“, erklärt er. Dann seien Kommentare und weitere Funktionen nach und nach hinzugekommen. Heute gebe es täglich bis zu 15.000 Klicks auf die Seite der "Parkschützer".

Franco Rota von der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM) sieht die Entwicklung von Social Media in Zusammenhang mit Stuttgart 21 ambivalent. Einerseits gebe es hier die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild zu machen. Doch er betont: „Die Blogs und anderen Angebote können auch zu seiner Immunisierung führen - denn ich tausche mich dort ja oft nur mit Gleichgesinnten aus.“ Tatsächlich, gibt auch von Herrmann zu, melden sich Befürworter von Stuttgart 21 zum Beispiel in den Foren der "Parkschützer" relativ selten zu Wort. „Aber wir versuchen, nicht einfach immer die gleichen Argumente im Netz zu präsentieren, wir geben uns schon Mühe, ein umfassendes Bild zu schaffen.“ Die Einseitigkeit gebe des doch bei den Befürwortern auch.

Geld sammeln über Facebook

Allerdings sind Vereine wie „Für Stuttgart 21“ im Netz weit weniger präsent. Sie setzen weniger auf Blogs und Twitter, dafür unter anderem auf eine Facebook-Seite, um etwa Geld für Anzeigen zu sammeln. Eine Suche nach dem Hashtag „#s21“ zeigt freilich, dass bei den im Minutentakt veröffentlichten Kurznachrichten die Pro-Seite fast keine Rolle spielt - sondern vor allem hart angegangen wird.

Ein Hauptgrund für viele Gegner, sich online zu äußern, ist aus von Herrmanns Sicht, dass sie sich nicht gehört fühlten. Er sieht keine übermäßige Härte in der Auseinandersetzung, etwa bei Twitter. „Wir achten immer darauf, dass unsere eigenen Tweets korrekt und seriös sind“, sagt der Parkschützer-Sprecher. Doch gibt er zu, dass „natürlich auch viel Geschwätz und Gelaber“ veröffentlicht werde.

Härtere Diskussionen

„Der Vorteil der Live-Kommentare im Netz ist, dass ich weiß, dass ich dort auf jeden Fall zu Wort komme“, sagt Rota über das Phänomen, dass jede Wendung im Konflikt online direkt aufgenommen und kommentiert wird. „Andererseits kann ich dort in Diskussionen Gegner härter angehen, als wenn ich ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehe.“ Das Kommunikationsbüro des Bahnprojekts versucht auf seine Weise, im Stuttgart-21-Strom des Netzes mitzuschwimmen, indem etwa Videos veröffentlicht werden.

Projektsprecher Wolfgang Dietrich setzt darauf, dass vor allem das „Direktzu“-Forum den direkten Kontakt mit den Bürgern ermöglicht. „Je länger die Plattform besteht und je intensiver sie genutzt wird, desto größer ist der Mehrwert für die Bürger“, sagt er.

Gefahr von Teilöffentlichkeiten

Das Projekt ist aber auf Twitter nicht präsent, und beim Bahn-Account „db_bahn“ geht es um Servicefragen wie Verspätungen. Dietrich sagt, während der Schlichtung habe das Kommunikationsbüro Twitter sehr wohl genutzt. Grundsätzlich gesteht er aber ein: „Im digitalen Zeitalter wird es nicht einfacher, wahrgenommen zu werden.“ Doch nutze das Büro „die unterschiedlichen Kommunikationskanäle so, dass wir hier ganz gut sichtbar sind.“

Professor Rota sieht die Gefahr, dass es, egal wie der Konflikt um Stuttgart 21 ausgeht, zukünftig etliche Teilöffentlichkeiten gibt, die nicht mehr wirklich miteinander kommunizieren. „Gesamtgesellschaftlich kann das auch zu einer immer stärkeren Parzellierung führen - in Gruppen und Grüppchen. Der gesamtgesellschaftliche Zusammenhang könnte dann schon irgendwann auf die Probe gestellt werden.“