Der Architekt des Tiefbahnhofs von Stuttgart 21, Christoph Ingenhoven, ist mit der bisherigen Umsetzung seiner Pläne zufrieden. Er sorgt sich aber ums Umfeld der Station und mahnt eine städtebauliche Diskussion in der Stadt an.

Stuttgart - Der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven hat sich zufrieden mit der Qualität der sogenannten Kelchstütze gezeigt, die einmal das Dach des von ihm ersonnenen Durchgangsbahnhofs von Stuttgart 21 tragen soll. Die Stadt sieht er in der Verantwortung, die Diskussion über das Umfeld der Station und das neue Quartier auf dem heutigen Gleisgelände mit mehr Verve zu führen, als das bisher der Fall gewesen ist. Als Ingenhoven und der bekannte Stuttgarter Tragwerksplaner Werner Sobek diesen Appell am Abend auf einem Podiumsgespräch wiederholten, klatschten die 250 Gäste, darunter kein Abgesandter der Rathausspitze, begeistert Beifall.

 

„Wenn der Bahnhof in Betrieb geht, wollen wir nicht zehn Jahre lang auf eine Brache dahinter starren müssen“, erklärte der renommierte Architekt am Nachmittag bei einem Besuch in Stuttgart. Damit möglichst rasch weitergebaut werden kann, müssten die notwendigen Diskussionen nun geführt werden. Das habe er auch in Gesprächen mit Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Baubürgermeister Peter Pätzold (beide Grüne) deutlich gemacht. „Das wird ein intensiver Prozess“, prognostizierte Ingenhoven. Es sei aber der Mühe wert, damit auf den Gleisflächen „ein wahrhaft begeisterungswürdiges Quartier entsteht, das neue Antworten auf städtisches Wohnen, Arbeiten und auf Fragen der Mobilität der Zukunft gibt“, sagte der 55-Jährige. Durch seinen Entwurf des Bahnhofs, der statt einer großen Bahnsteighalle ein begehbares Dach über den Gleisen vorsieht, reduziere sich die Distanz zwischen der gewachsenen Stadt und den neuen Vierteln ganz signifikant und lasse so eine enge Verknüpfung zu.

Betonfachmann nennt Stütze „ein Kunstwerk“

Dieses Dach, auf dem dereinst der Straßburger Platz entstehen soll, wird getragen von 28 Kelchstützen, von denen 27 in sogenannte Lichtaugen münden, die Tageslicht in den tief liegenden Bahnhof leiten. Ein Achtel einer solchen Trägerkonstruktion ist in den vergangenen Wochen am Rande der Baustelle im Schlossgarten entstanden. Ingenhoven hat diesen Probekelch am Dienstag ein drittes Mal begutachtet. „Wie Franz Beckenbauer 1990 auf dem Rasen des Stadions in Rom nach dem Sieg der WM“ habe er sich gefühlt, als er seinen in Beton gegossenen Entwurf gesehen habe.

Auch Bernd Hillemeier, emeritierter Professor der Technischen Universität Berlin und eine Kapazität auf dem Gebiet des Betonbaus, sparte nicht mit Superlativen. Die Stütze sei „ein Kunstwerk“, ihre Ausführung durch den Stuttgarter Baukonzern Züblin „eine Meisterleistung des Bauunternehmens“, erklärte Hillemeier, der auch Vorsitzender des Projektbeirats von Stuttgart  21 ist, bei einem Vorort-Termin im Schlossgarten. Trotzdem sieht Ingenhoven noch Luft nach oben. Vor allem im Blick auf die Oberflächenbeschaffenheit und die Farbe des Betons habe das Modell in der Größe 1:1 gezeigt, wo noch Fallstricke lauern. Was die Farbe angeht, setzt der Architekt auf den weiteren Trocknungsprozess. Die Form, ein Großteil der Fugen und die komplizierte Bewehrung aus Baustahl kommen aber schon recht nahe heran an die Vorstellung des Bahnhofsarchitekten.

Erneute Diskussion über Fluchttreppenhäuser

Die verbliebenen Probleme hält Manfred Leger, Chef der Bahnprojektgesellschaft Stuttgart-Ulm, für beherrschbar. Die Entscheidung, die ursprünglich nicht vorgesehene Teststütze zu bauen, sei goldrichtig gewesen. Ingenhovens wohlwollendes Testat bezeichnete der Wirtschaftsingenieur als „einen Meilenstein fürs Projekt“.

Noch nicht ganz soweit sind Leger und Ingenhoven beim Versuch, die Fluchttreppenhäuser im Durchgangsbahnhof anders anzuordnen. Die Bauwerke, durch die im Havariefall die Fahrgäste ins Freie gelangen sollen, bezeichneten beide als ungeliebt. Es handle sich um eine „äußerste Rückzugsplanung“, erklärte Ingenhoven. Diese wurde notwendig, nachdem die europaweiten Regeln zum Brandschutz deutlich verschärft wurden. Allerdings würden die Treppenhäuser, so sie denn gebaut werden, nicht so aussehen, wie sie sich auf Illustrationen in der Ausstellung des Projekts im Bahnhofsturm darstellen, sagte Ingenhoven. Man befinde sich derzeit in Gesprächen mit dem Eisenbahn-Bundesamt (Eba), das eine Modifizierung an den Fluchttreppen genehmigen muss. Die Idee von Bahn und Planer sieht nun vor, dass die Treppenhäuser aus dem Zentrum der Station an die Ränder verlegt werden, dorthin, wo der Bahnhof in das Tunnelsystem von Stuttgart  21 übergeht. Noch ist nichts beantragt geschweige denn entschieden oder gar genehmigt. Leger prognostizierte, dass man in ein „paar Monaten“ in der Lage sei, über die Treppenhäuser zu sprechen. Der Projektchef machte aber auch deutlich, dass man ein genehmigtes Brandschutzkonzept habe und auf dessen Grundlage auch bauen könne. Im Klartext: gibt es keine Einigung mit dem Eba, kommen die Treppen wie geplant.

Auf dem von der Bahn organisierten Podiumsgespräch „Faszination 21“ im IHK-Vortragssaal nahmen am Abend Ingenhoven, Sobek und Hillemeier die Zuhörer mit auf einen interessanten und kurzweiligen Ausflug in Betonkunde, Tragwerksplanung und Städtebau. Inhaltlicher Höhepunkt war der Appell an die Stadt, der witzigste Moment der Satz Ingenhovens über die Tragfähigkeit der Lichtaugen: „Darauf können die VfB-Fans auch die Meisterschaft feiern, aber das kommt ja nicht so bald vor“. Übrigens: VfB-Präsident Bernd Wahler saß auch im Publikum.