Nach seinem Aufenthalt in Stuttgart hat Bahnvorstand Volker Kefer Bilanz gezogen. Er wisse nun, „dass alle Partner an dem Projekt festhalten“. Er habe aber auch erlebt, dass die Bahn nicht die Wertschätzung erfahre, „die der Hauptfinancier des Projekts verdient“.

Stuttgart - Es war kurz vor fünf am Dienstagnachmittag, als Volker Kefer auf den Zug musste und zum Abschied noch kurz mitteilte, dass es immer noch Leute gäbe, „für die es sich lohnt, nach Stuttgart zu kommen“. Schwarze, Rote und sogar ein paar Grüne seien darunter. Insgesamt aber, meinte der Infrastrukturvorstand der Bahn, sei das Pensum seines zweitägigen Arbeitsaufenthalts in der baden-württembergischen Landeshauptstadt „ziemlich stramm“ gewesen.

 

Kefer hat im Auftrag der Bahn die Sprechklausel gezogen, die in der Finanzierungsvereinbarung für Stuttgart 21 für den Fall vorgesehen ist, dass der Kostenrahmen von 4,526 Milliarden Euro überschritten wird. „Das ist passiert“, sagt der Manager nun. Doch wichtiger als die nackten Zahlen – Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro, zusätzliche Risiken von 1,2 Milliarden Euro – und die erwartbare Weigerung der grün-roten Landesregierung, mehr als bisher vereinbart zu zahlen, sei „der Gesamteindruck“, den er jetzt von der Situation in Stuttgart habe. Und der ist ziemlich differenziert.

Zum einen habe er erfahren, „dass alle Partner an dem Projekt festhalten“. Zum zweiten wisse er nun auch offiziell, dass sich das Land und die Stadt nicht an Mehrkosten beteiligen. Zum dritten erfahre die Bahn nicht die Wertschätzung, „die der Hauptfinancier des Projekts verdient“. Zum vierten sei die „Vertrauenskrise beidseitig“, was – zum fünften – dazu führe, dass „wir uns bei diesem Projekt mindestens genauso unwohl fühlen wie das Land und die Stadt“. Die daraus resultierende Frage laute, wie es gelingen könnte, diese Diagnose ins Positive zu wenden. Die Antwort darauf blieb Kefer schuldig.

Gespräch dauerte länger als angesetzt

Dabei hatte der Bahn-Manager viel Zeit mit den Projektpartnern verbracht. Am Morgen nach dem ausführlichen Treffen mit Verkehrsminister Winfried Hermann dauerte am Dienstag auch das Gespräch mit Oberbürgermeister Fritz Kuhn zehn Minuten länger als vorgesehen. Danach schilderte Kuhn seine Gesprächseindrücke vor laufenden Kameras im rathausintern „Grablege“ genannten Festzimmer. Das Gespräch mit Kefer habe in freundlicher Atmosphäre stattgefunden, die Vertrauenskrise zwischen der Bahn und dem Projektpartner Stadt sei allerdings keineswegs überwunden.

Er habe erneut sein Unverständnis darüber geäußert, dass die Bahn noch bei der Lenkungskreissitzung im Oktober den Kostenrahmen von 4,5 Milliarden Euro bestätigt habe, zwei Monate später dann aber Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro einräumen musste. „Herr Kefer und ich haben da unterschiedliche Sichtweisen“, so Kuhn. Auch habe er der Behauptung widersprochen, dass städtische Ämter für den von der Bahn beklagten behördlichen Schwergang verantwortlich seien. Zugleich stellte Kuhn erneut klar, dass die Stadt sich nicht an Mehrkosten für den Bau des Projekts beteiligen werde.

Wie schwierig das Projekt für die Projektpartner werden könnte, legt Kefers Antwort auf Kuhns Frage nahe, was im Falle weiterer Mehrkosten passieren soll. „Herr Kefer hat gesagt, dass auch mögliche weitere Kostenrisiken auf die Projektpartner verteilt werden sollen“, so der OB. Er beklagte zudem fehlende Informationen über den aktuellen Kostenstand. Die Stadt bestehe darauf, dass in absehbarer Zeit eine Sitzung des S-21-Lenkungskreises stattfinde, bei der die Bahn die konkreten Kostenstände des Projekts darlege und Einsparungsmöglichkeiten nenne.

Strahlemann der Bahn

Solcherlei Vorhaltungen pflegt Volker Kefer für gewöhnlich mit einem Lächeln zu quittieren. Erst hinter den Kulissen offenbart sich dann der Mensch, dem der ewige Streit offenbar zunehmend an die Nieren geht. Gesprächsteilnehmer, die Kefer an den beiden Tagen seines Stuttgart-Besuchs in verschiedenen Runden erlebt haben, berichten davon, wie der Charme von einst verflogen sei. Vom Strahlemann der Bahn, der die Tiefbahnhofgegner während der Geißler-Schlichtung im Herbst des Jahres 2010 ein ums andere Mal in Verlegenheit gebracht hatte, sei nichts mehr zu spüren, im Gegenteil. „Er ist angeschlagen und auf eine Art nervös, die wir von ihm nicht kennen“, sagt einer aus der grün-roten Koalition, der für sich in Anspruch nimmt, „sehr differenziert über das Projekt zu denken“.

Es sei „ja wohl kein Wunder, dass Kefer angefressen ist“, kontert einer, der den Bahn-Vorstand so intensiv erlebt wie nur wenige im Umfeld des Staatskonzerns. Immerhin sei Kefer es gewesen, der dem Bahn-Aufsichtsrat empfohlen habe, die Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro selbst zu übernehmen. Damit habe der Manager auch ein Zeichen an die Projektpartner senden wollen, nach dem Motto: Wir stehen zu unserer Verantwortung. Geerntet habe Kefer dafür aber pures Misstrauen. Hermann und Kuhn hätten nur noch von einer Vertrauenskrise gegenüber der Bahn gesprochen und nicht mehr davon, dass der Konzern in Vorleistung treten wollte. Erreicht habe das grüne Trio damit das Gegenteil: „Ab jetzt“, sagt der Kefer-Vertraute, „tickt die Uhr ab 4,5 Milliarden Euro – und nicht mehr ab 5,6 Milliarden.“

Viele Gründe für Richtungswechsel bei der Bahn

Dass der Bahn-Vorstand sein ursprüngliches Angebot zurückgezogen hat und die Sprechklausel nun auf ausnahmslos alle anfallenden Mehrkosten anwenden will, hat indes vielfältige Gründe. Einerseits versucht das Unternehmen, eine Drohkulisse gegenüber der Stadt und dem Land aufzubauen. Andererseits hat der Aufsichtsrat der Bahn seinem Vorstand aber auch kein grünes Licht für die freiwillige Übernahme von Mehrkosten gegeben.

Seit diese Weigerung offenbar geworden ist, soll sich Kefers Zorn vor allem auf einen Mann richten, den er bis dato als Verbündeten gesehen hatte: den Staatssekretär Michael Odenwald aus dem Bundesverkehrsministerium. Sowohl die grün-roten Koalitionäre aus Stuttgart als auch die Insider bei der Bahn beobachten, dass Kefer den aus Karlsruhe stammenden Juristen und Theologen dafür verantwortlich macht, dass Stuttgart 21 plötzlich auch in der Bundesregierung zum Streitthema geworden ist und sogar in Berlin über die Wirtschaftlichkeit und die Sinnhaftigkeit des Projekts diskutiert wird.

„Obwohl Kefer selbst von Stuttgart 21 gar nicht so sehr überzeugt ist und intern immer betont, dass es einst doch das Land und die Stadt waren, die das Projekt wollten und nicht die Bahn, kriegt er jetzt die Prügel“, sagt der Stuttgarter Regierungsmann. Und der Bahn-Insider sekundiert: „Das findet er zutiefst ungerecht.“

Kein Trost nötig

Ein wenig Rückendeckung hat Volker Kefer zumindest in den beiden weiteren Gesprächen erhalten – am Vormittag hatte er sich mit CDU-Landtagsabgeordneten getroffen, am Nachmittag war er beim Verband Region Stuttgart zu Gast. Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) hatte schon im Vorfeld signalisiert, dass die Region die Mehrkosten für den verbesserten Filderbahnhof mittragen würde, allerdings in geringem Umfang. Er zeigte sich zuversichtlich, dass sich die rote Seite der Landesregierung durchsetzen werde, die eine Beteiligung ebenfalls für möglich hält: „Das ist eindeutig ein Sonderwunsch, der auch extra bezahlt werden muss.“

Nicole Razavi, die verkehrspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, begrüßte die Fortführung der Baumaßnahmen und forderte die grün-rote Landesregierung zugleich auf, erstens endlich mit der Bahn zusammenzuarbeiten und sich zweitens an Mehrkosten, die „aus zusätzlichen Verbesserungen resultieren“, zu beteiligen. Nach ihrem Eindruck, so fügte Razavi hinzu, habe Volker Kefer übrigens keinen Trost nötig gehabt.