Die grün-rote Landesregierung fragt die Projektpartner Bund, Stadt und Bahn. Doch die haben sich beim Thema Kombibahnhof längst positioniert.

Stuttgart - Für Hans-Ulrich Rülke, den Chef der FDP-Landtagsfraktion, stellt sich die Sache so dar: "Das ist ein Stück aus dem Tollhaus." Die Sache - das ist der Streit um den Vorschlag des Stuttgart-21-Schlichters Heiner Geißler, statt eines Tiefbahnhofs in der Landeshauptstadt eine Kombination von Tiefbahnhof und überirdischen Kopfbahnhof zu bauen. Die grün-rote Landesregierung hatte sich darüber entzweit und am Donnerstag in einer fast einstündigen Telefonkonferenz des Koalitionsausschusses auf Druck der SPD entschieden, das Thema an die übrigen Projektpartner Bahn, Bund, Stadt und Region weiter zu reichen. Der FDP-Mann Rülke warf den Grünen vor, sie betrieben mit ihrem Wunsch nach einer weiteren Prüfung des Kombibahnhofs eine Verzögerungstaktik, die allenfalls zu Verteuerungen führe. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel sagte hingegen, es sei vernünftig und sachgerecht, dass es keinen Alleingang des Landes gebe, sondern das Einvernehmen der Projektpartner angestrebt werde.

 

Die Prüfungen der Landesregierung hatten gezeigt, dass zur Verwirklichung des Kombibahnhofs neben einem neuen Planfeststellungsverfahren auch eine neue Finanzierungsvereinbarung notwendig wäre. Weil dies nur im Einvernehmen mit den übrigen Projektpartner möglich sei, sollen diese den Geißler-Vorschlag nun vertieft untersuchen.

Zeitverlust von zehn Jahren

Tatsächlich ist die Forderung der Koalition aber längst erfüllt. Mit Ausnahme des Landes funken alle Projektpartner schon seit Tagen dieselbe Botschaft: ein klares Nein zur Kombilösung. Just am Donnerstag hat der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster unter anderem im Namen der Projektpartner Landeshauptstadt und Verband Region Stuttgart jene Stellungnahme verschickt, aus dessen Konzept die Stuttgarter Zeitung bereits am Montag zitiert hat - nachzulesen übrigens auf der Homepage stuttgart.de. Fazit der vom ehemaligen Leiter des Instituts für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Gerhard Heimerl, geleiteten Expertenkommission: "Weder aus verkehrlicher, noch aus finanzieller und planungsrechtlicher Hinsicht bringt dieser Vorschlag im Vergleich mit Stuttgart 21 einen Vorteil."

In zwölf Punkten begründen die Gutachter von Stadt und Region ihre Sicht der Dinge; unter anderem argumentieren sie damit, dass bei der Kombivariante ebenso gegraben werden müsste wie beim ausschließlichen Tiefbahnhof, dass die städtebaulichen Vorteile entfielen und dass ein Zeitverlust von mindestens zehn Jahren entstünde, weil ein neues Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren notwendig würde. Das Urteil der Heimerl-Gruppe hat auch insofern Gewicht, als der emeritierte Verkehrswissenschaftler als der wahre Erfinder der Kombilösung gilt, die bereits in den 80er und 90er Jahren ent- und verworfen wurde. Dennoch würdigt Schuster in seinem Begleitschreiben an die Mitglieder des Gemeinderats, die Abgeordneten des Land- und des Bundestags das Ansinnen des S-21-Schlichters Heiner Geißler, der versucht habe, "zwischen Befürwortern und Gegnern von Stuttgart21 zu vermitteln". Die Option, alle Planungen auf null zu setzen, wäre aus seiner Sicht aber nur dann sinnvoll gewesen, wenn der Tiefbahnhof seine Leistungsfähigkeit nicht nachgewiesen hätte. Das Gegenteil sei der Fall.

"Jetzt ist genug geschlichtet."

Noch deutlicher hat sich der Vertreter des Bundes geäußert. "Jetzt ist genug geschlichtet. Die zweite Nachspielzeit ist abgelaufen, das Spiel entschieden, da können Herr Geißler und die Gegner des Bahnhofs nicht noch einmal die Regeln ändern", polterte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) am vorigen Wochenende und nannte den von Geißler vorgeschlagenen Kompromiss "uralt und längst verworfen".

Auch die Bahn hat einen Rückfall auf die längst verworfene Kombilösung kategorisch abgelehnt. Deswegen zeigte sich der S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich am Donnerstag auch "sehr verwundert" über das Verhalten der Koalition: "Nachdem sich alle Projektpartner längst geäußert haben, hätte ich von der Landesregierung eine ausführliche Stellungnahme erwartet, wie sie sich zu dem Vorschlag stellt." Dass eine Positionierung von Grün-Rot nun abermals nicht erfolgt sei halte er für eine Flucht der Koalitionäre aus der Verantwortung: "Die Bürger haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Position ihre Regierung zu dem Thema hat."

Hintergrund: Eine Partnerschaft und ihre Teilhaber

Stuttgart 21

Partner Die Partnerschaft, die das Land Baden-Württemberg, der Bund, die Deutsche Bahn AG, der Verband Region Stuttgart und die Stadt Stuttgart eingegangen sind, währt schon etliche Jährchen. 1995 unterzeichneten die fünf Institutionen eine Rahmenvereinbarung für das Projekt Stuttgart 21. Ein wichtiges Datum war der 2. April 2009. Nach vielen Rückschlägen und Neuanfängen unterzeichnete das Quintett die Finanzierungsvereinbarung für das Vorhaben.

Finanzierungsquoten Im April 2009 glaubte man noch, den Tiefbahnhof in Stuttgart für knapp 3,1 Milliarden Euro bekommen zu können. Bahn und Bund sollten davon knapp zwei Milliarden bezahlen - einen Zuschuss der EU eingerechnet; Stadt, Land, Region und die Stadt und Land gehörende Flughafen GmbH den Rest. Auch die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm wurde vertraglich fixiert, die Kosten dafür wurden auf zwei Milliarden Euro taxiert. Man verabredete auch einen Risikotopf von 1,45 Milliarden und wer wann wie viel nachzuschießen hat.