Stadt, Land, Region und Flughafen brauchen mehr Zeit, um im Rechtsstreit mit der Bahn zu reagieren. Die will mit einer Klage erreichen, dass sich die Projektpartner an den zwei Milliarden Euro Mehrkosten von Stuttgart 21 beteiligen.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Der Streit um Mehrkosten beim Projekt Stuttgart 21 droht zur Hängepartie zu werden. Die vier Beklagten – also das Land, die Stadt, die Region sowie die Flughafengesellschaft – haben einhellig beantragt, mehr Zeit für eine Erwiderung auf die im Dezember 2016 eingereichte Klage zu erhalten. Das hat das Verwaltungsgericht Stuttgart auf Anfrage der Stuttgarter Zeitung mitgeteilt. Die Bahn als Klägerin habe der Fristverlängerung bis zum 31. Januar 2018 zugestimmt. Zunächst war die Frist im Frühjahr 2017 bis zum vergangenen Sonntag, 15. Oktober, verlängert worden. Statt ihre Schriftsätze einzureichen, erwirkten die Beklagten weitere Bedenkzeit. Damit rückt eine Entscheidung des Stuttgarter Verwaltungsgerichts weiter in die Ferne.

 

Die Beklagten geben sich einsilbig

Sprecher von Land, Stadt, Region und Flughafen geben sich auf Fragen nach den Gründen für die abermalige Verzögerung wortkarg: „Es handelt sich um äußerst komplexe Rechtsfragen, was für die beteiligten Anwaltskanzleien einen zusätzlichen Zeitbedarf bedeutet“, teilt etwa Johannes Schumm, Sprecher des Manfred-Rommel-Flughafens mit. „Weil dies bei komplizierten Prozessen dieser Art sehr häufig vorkommt, ist das ein üblicher Vorgang.“ Bei der Region betont man die Notwendigkeit einer gemeinsamen Strategie in dem „komplexen Sachverhalt“. Eine „intensive Abstimmung mit den Partnern“ sei ebenso erforderlich wie „die sorgfältige Sichtung der Unterlagen“, erklärt Dorothee Lang, Sprecherin des Verbands Region Stuttgart. Abstimmungsbedarf macht auch die Landeshauptstadt geltend. Rathaussprecher Sven Matis erklärt: „Wir warten die Klageerwiderung des Landes ab. Daran werden wir uns orientieren und unsere eigene Stellungnahme ausrichten.“ Das könnte sich allerdings noch etwas hinziehen. „Die Erarbeitung der Klageerwiderung ist sehr zeitaufwendig. Dies insbesondere aufgrund des erheblichen Umfangs der Klageschrift und des Streitstoffs“, erklärt Julia Pieper, Sprecherin des baden-württembergischen Verkehrsministeriums. Pieper verweist auf die lange Historie der Stuttgart-21-Finanzierung, etwa auf den Abschluss der Rahmenvereinbarung, die aus dem Jahr 1995 stammt. Ehe sich das Land zur Klage äußere, müssten auch andere betroffene Ministerien eingebunden werden.

Ergebnislose Gespräche

Mit der im Dezember 2016 eingereichten Klage will die Bahn erreichen, dass sich die übrigen Projektpartner an den Mehrkosten beteiligen, an den über die anfangs im Finanzierungsvertrag festgezurrten 4,5 Milliarden Euro hinaus gehenden Kosten. Der Bahn-Aufsichtsrat hatte im März 2013, nachdem die Kosten aus dem Ruder gelaufen waren, einer Erhöhung des Finanzierungsrahmens auf 6,5 Milliarden Euro zugestimmt. Allerdings gaben die Aufseher dem Bahnvorstand mit auf den Weg, bei den Projektpartnern eine Beteiligung an diesen Mehrkosten geltend zu machen. Unter dem Hinweis auf die sogenannten Sprechklausel im Finanzierungsvertrag, die bei Mehrkosten vorsieht, dass Bahn und Land Gespräche aufnehmen, gab es diese Verhandlungen auch – allerdings ohne greifbare Ergebnisse.

Stadt, Land, Region und Flughafen hatten mehrfach erklärt, kein weiteres Geld für den Umbau des Stuttgarter Bahnknotens geben zu wollen. Um die Verjährung der von ihr unterstellten Ansprüche an die Projektpartner zu vermeiden, hatte die Bahn im Dezember 2016 Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingereicht. Zuvor hatten die Stadt und das Land es abgelehnt, die Verjährung auszusetzen. Alle Projektpartner mit Ausnahme der Bahn hatten auch darüber verhandelt, wie mit gegenseitigen Ansprüchen umzugehen sei, für den Fall, dass Gerichte sie zur Übernahme von Mehrkosten verpflichten. Das war vor allem für das Land von Bedeutung. Denn im Finanzierungsvertrag von Stuttgart 21 kommt ihm eine besondere Rolle zu. Das Land trage „als Poolführer für seine Partner alle im Zusammenhang mit den Finanzierungsbeiträgen stehenden Rechte und Pflichten.“

Der erst im Januar 2017 ins Amt gekommene Bahninfrastrukturvorstand Ronald Pofalla zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass am Ende nicht die Gerichte über eine Verteilung der Mehrkosten entscheiden müssen. „Unsere Tür für eine außergerichtliche Einigung steht selbstverständlich weiterhin offen. Das haben wir stets betont“, erklärte Pofalla im April im Interview mit der Stuttgarter Zeitung. An dieser Haltung habe sich bis heute nichts geändert, erklärt ein Projektsprecher.

Zehn Fakten zu Stuttgart 21 sehen Sie im Video: