Ministerpräsident Kretschmann ist sauer, dass er vom Gutachten über den mangelnden Brandschutz erst so spät und obendrein aus der Zeitung erfahren hat. Er ist nicht der einzige, der deshalb „irritiert“ ist.

Stuttgart - Die gravierenden Mängel im Brandschutzkonzept der Bahn für den Stuttgart-21-Tiefbahnhof haben zahlreiche Reaktionen auf der politischen Ebene ausgelöst. Während der S-21-Sprecher Wolfgang Dietrich die Prüfung des Konzepts durch Schweizer Brandschutzexperten als „normalen Vorgang“ bewertete, wird aus der Politik Kritik laut. Zum wiederholten Mal wird auch die Kommunikationsstrategie des Konzerns bemängelt.

 

In einem Brief an Bahn-Chef Rüdiger Grube äußern sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine Kabinettskollegen Winfried Hermann (Verkehr) und Nils Schmid (Wirtschaft und Finanzen) höchst verwundert darüber, von der Expertise des Schweizer Gutachterbüros Gruner AG erst am Mittwoch erfahren zu haben, „und dazu noch aus der Presse“. Dies sorge bei der Landesregierung, die als Projektpartner an der Finanzierung des Milliardenvorhabens beteiligt ist, für „erhebliche Irritation“. Kretschmann will das Thema Brandschutz und Sicherheit nun auf die Tagesordnung der Sitzung des S-21-Lenkungskreises setzen, der am 22. Oktober – einen Tag nach der Stuttgarter OB-Wahl – tagt. Der Regierungschef betonte zugleich: „Es muss klar sein, dass der Schutz von Leib und Leben für uns höchste Priorität genießt.“ Die Regierung erwarte, dass sie „über das Brandschutzgutachten, dessen Hintergründe, das von der Bahn geplante weitere Vorgehen und über die zeitlichen und kostenmäßigen Implikationen unverzüglich, vollständig und umfassend aufgeklärt wird“.Auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Edith Sitzmann, forderte die Bahn auf, die Projektpartner lückenlos über die Probleme mit dem Brandschutzkonzept aufzuklären und die denkbaren Folgen für den Baufortschritt darzulegen. „So, wie dieser Mängelbericht jetzt an die Öffentlichkeit gelangt ist, hat das mit Transparenz nichts zu tun“, kritisierte Sitzmann.

Kuhn: Bahn muss die Mehrkosten selbst tragen

Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl sprach der Bahn sein Vertrauen aus: „Selbstverständlich muss die Sicherheit der Menschen im Bahnhof Priorität haben. Ich weiß, dass auch die Bahn um Sicherheitsaspekte außerordentlich besorgt ist. Deshalb gehe ich davon aus, dass sie die Ergebnisse dieses Gutachtens ernst nimmt, dass sie noch offene Fragen klärt und dass sie die notwendigen Konsequenzen zieht.“

Sein Parteifreund, der scheidende OB Wolfgang Schuster, sagte, die Bahn müsse die Widersprüche zwischen ihrem Brandschutzkonzept und der aktuellen Expertise schnell und umfassend aufklären: „Der Brandschutz hat für die Stadt oberste Priorität. Hier gibt es für mich keinen Spielraum.“ Die Favoriten für die Nachfolge Schusters, der Grüne Fritz Kuhn und der für das bürgerliche Lager kandidierende Sebastian Turner, meldeten sich ebenfalls zu Wort. „Die Bahn hat die Notwendigkeit eines guten Brandschutzkonzeptes seit der Schlichtung nicht ernst genug genommen. Das rächt sich jetzt“, so Kuhn. Die Kosten für die Neuplanungen am Bahnhof müsse die Bahn tragen: „Sie ist der Kostentreiber.“

Turner: Die Bahn muss der Stadt besser zuhören

Turner sagte, bei der Sicherheit dürfe es keine Mängel geben. Defizite beim Brandschutz habe bereits die städtische Branddirektion mehrfach zum Thema gemacht – „wie jetzt offenbar bestätigt wird, völlig zu Recht“. Dies zeige „die hohe Fachkompetenz der Stuttgarter Verwaltung“. Turner: „Die Bahn muss besser planen und der Stadt besser zuhören.“ Positiv bewertete er, dass die Bahn die Prüfung des Konzepts selbst in Auftrag gegeben habe. Grüne, CDU und SPD im Gemeinderat verlangten ebenfalls Aufklärung. Die Grünen sehen die Planungen für den Tiefbahnhof sogar „in fundamentalen Teilen infrage gestellt“. Das in der Prüfexpertise angeführte Gedränge auf den Bahnsteigen lege nahe, dass im Ernstfall „Menschen zu Tode gequetscht“ würden, so Fraktionschef Peter Pätzold. Alexander Kotz (CDU) nannte es „höchst bedauerlich“, dass nachgearbeitet werden müsse. Die Bahn müsse die architektonischen, finanziellen und zeitlichen Konsequenzen darlegen. Für die SPD sagte Roswitha Blind, es sei gut, dass die Bahn selbst ein neues Gutachten in Auftrag gegeben habe, um die verschärften Brandschutzrichtlinien erfüllen zu können.

Unterdessen hat der Bund für Umwelt und Naturschutz erneut einen sofortigen Baustopp für das Projekt gefordert.