Ist die komplexe Frage beim Stuttgart-21-Volksentscheid für die Bürger überhaupt verständlich? Die Opposition im Landtag bezweifelt das.
 

Stuttgart - Gut sechs Wochen vor der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ein Ende der erbitterten Grabenkämpfe gefordert. „Jetzt geht es in die Sachauseinandersetzung“, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag im Stuttgarter Landtag. Wenn die Opposition aus CDU und FDP der grün-roten Koalition „Täuschen, Tricksen und Tarnen“ vorwerfe, begebe sie sich auf ein Niveau von manchen Stuttgart-21-Gegnern, über das sie sich noch zu ihren Regierungszeiten beschwert habe.

 

Er selbst lehne Slogans wie „Lügenpack“ ab, die bei Demonstrationen gegen das Bahnprojekt skandiert werden. Aus politischer Gegnerschaft dürfe keine Feindschaft werden, appellierte Kretschmann, der sich erstmals seit seiner Regierungserklärung vor knapp fünf Monaten wieder im Parlament zu Wort meldete.

Falsch informieren

CDU und FDP hatten der Koalition vorgehalten, sie würden die Bürger vor der Volksabstimmung falsch informieren. Die Regierung mache nicht vorhandene Kündigungsrechte geltend und erwecke den Eindruck, es gebe Alternativen zu dem Bahnvorhaben, sagte die CDU-Abgeordnete Nicole Razavi. „Die Bürger fühlen sich getäuscht von einem Ministerpräsidenten, der viel vom Gehörtwerden redet, der aber selbst gar nicht zuhört.“ Der Stimmzettel für das Referendum sei verwirrend und kompliziert und - so deutete sie an - stark von den Grünen beeinflusst.

Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) warf ihr „schrille Propaganda“ vor und betonte, die Landesverfassung lasse keinen anderen Weg zu, als über ein Gesetz und nicht über eine Sachfrage - Stuttgart 21 „ja“ oder „nein“ - abstimmen zu lassen. Damit sei niemand überfordert: „Wir vertrauen auf die Bürgerinnen und Bürger - ein kluges Volk, über Jahrhunderte bewiesen, in schwierigen wie in leichten Situationen.“ SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel meinte, die CDU versuche, die Leute zu verwirren, in dem sie die Volksabstimmung als „etwas Unanständiges“ darstelle.

Nicht weiter am Verfahren herumkritteln

Kretschmann betonte, die Opposition habe auf einen Gang zum Staatsgerichtshof verzichtet und könne jetzt nicht weiter an dem Verfahren zum Referendum herumkritteln. Alle Politiker müssten nun für eine möglichst hohe Beteiligung an dem Plebiszit sorgen. „Erst dann hat die Abstimmung den Effekt, den wir von ihr erwarten, dass sie sozusagen einen Schlusspunkt unter dieses hochumstrittene Thema setzt.“ Das historische Ereignis der ersten Volksabstimmung in Baden-Württemberg sei überdies ein gute Gelegenheit, das Vertrauen der Menschen in die politischen Institutionen zu stärken.

Razavi warf Grün-Rot vor, mit einem „Informationschaos“ die Politikverdrossenheit zu schüren. Auch Ulrich Goll (FDP) sprach von „völlig einseitiger“ Information der Regierung. Aus seiner Sicht steht am 27. November die übergreifende Frage „Fortschritt oder Stillstand“ in Baden-Württemberg zur Abstimmung.

Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21

CDU und FDP äußerten Zweifel daran, dass Grün-Rot das Ergebnis der Volksabstimmung akzeptieren werde. Diese würden genährt durch den Pakt der Grünen mit dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Darunter sei auch die Linke, die das Projekt ungeachtet des Ergebnisses weiter bekämpfen wolle. Kretschmann stellte daraufhin klar: „Wir machen alle Politik auf der Verfassung.“ Bei Nichterreichen des Quorums für die Volksabstimmung, aber einer relativen Mehrheit für das Kündigungsgesetz, sei das Gesetz zum Ausstieg des Landes aus der Finanzierung klar gescheitert.

Innenminister Reinhold Gall (SPD) verwies darauf, dass die Bürger bei Entscheiden auf kommunaler Ebene schon gewohnt seien, über einen Gemeinderatsbeschluss mit „Ja“ oder „Nein“ zu stimmen. Auf den Stimmzetteln werde es keine Informationen über Alternativen zu Stuttgart 21 oder weitere Planungen geben: „Der Stimmzettel ist keine Unterlage zur Meinungsbildung.“ Die Opposition habe schließlich auch keinen anderen Formulierungsvorschlag gemacht.