Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hat bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige gegen Rüdiger Grube und Volker Kefer gestellt. Der Vorwurf: Mit einer „Augen zu und durch“-Politik hätten die Bahnvorstände die Kosten des aus Sicht der ­S­21-Kritiker absehbaren Projektabbruchs erhöht.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hat gegen Bahnchef Rüdiger Grube und Infrastruktur-Vorstand Volker Kefer Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue und des Betrug erstattet. Die Juristen des Bündnisses werfen der Konzernspitze der Deutschen Bahn grob pflichtwidriges Verhalten vor und stützen sich dabei auf das Dossier des Bundesverkehrsministeriums, das die Stuttgarter Zeitung in Auszügen veröffentlicht hat.

 

Die Strafanzeige wurde vom Sprecher des Aktionsbündnisses, dem Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper, sowie dem ehemaligen Vorsitzenden Strafrichter beim Landgericht Stuttgart, Dieter Reicherter, bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingereicht. Kernvorwurf ist, dass der Bahnvorstand das Milliardendefizit und damit die weggebrochene Finanzierung von Stuttgart 21 seit Anfang Juli 2012 gekannt und verschwiegen haben soll.

Kosten eines Projektabbruchs erhöht?

Die DB-Spitze habe diesen Sachverhalt unterdrückt und nach dem Motto „Augen zu und durch“ den Weiterbau betrieben, so die Juristen. Weder ein schadensmindernder Stopp von Auftragsvergaben noch eine Bauunterbrechung sei bis zur Klärung der Gesamtfinanzierung eingeleitet worden. Das habe die Kosten des aus Sicht der S21-Kritiker absehbaren Projektabbruchs erhöht. Damit habe der Vorstand die Vermögensinteressen des Konzerns und der Projektpartner verletzt.

Das Aktionsbündnis wirft den Bahnvorständen nicht nur Untreue, sondern auch Betrug vor. Die Beschuldigten hätten sich „durch Unterdrückung wahrer Tatsachen“ einen Vermögensvorteil verschafft, heißt es in der Anzeige. Das vorläufige Ergebnis der Wirtschaftsprüfer von Pricewaterhouse Coopers (PwC) vom 2. Juli 2012, wonach man bei S 21 eine Kostenüberschreitung von bis zu 2,3 Milliarden Euro erwarte, sei dem DB-Aufsichtsrat monatelang verschwiegen worden.

Kritiker stellen Zusammenhang mit Vertragsverlängerungen her

Die klagenden Juristen äußern – wie schon das Dossier des Ministeriums – den Verdacht, dass das auch mit den Vertragsverlängerungen der Bahnvorstände zu tun haben könnte. Am 9. September begann demnach die Laufzeit des um fünf Jahre verlängerten Anstellungsvertrags von DB-Vorstandsmitglied Volker Kefer. Dem Aufsichtsrat sei die Kostenexplosion verschwiegen worden, um dem Manager die Zustimmung der Kontrolleure zu der ihn begünstigenden Vertragsregelung zu verschaffen, so Loeper und Reicherter. Somit liege eine „Bereicherungsabsicht“ vor.

Die Juristen stützen ihre Anzeige auch darauf, dass ein kritisches Rechtsgutachten des Professors Urs Kramer dem Aufsichtsrat und den Projektpartnern lange „pflichtwidrig verschwiegen“ worden sei. Darin kommt der Gutachter unter anderem zum Ergebnis, dass der Verkauf des Gleisvorfelds von der Bahn an die Stadt Stuttgart unzulässig gewesen sei. Ohne die Entwidmung des Gleisgeländes könnte S 21 nicht realisiert werden.

Die Strafanzeige sei vom Aktionsbündnis beschlossen worden, heißt es in einer Mitteilung der S-21-Kritiker. Dem Bündnis gehören unter anderem die Regionalverbände von BUND, VCD und Pro Bahn an sowie der Kreisverband der Grünen, der Landesverband der Linken und die „SPD-Mitglieder gegen S 21“.

Deutsche Bahn will sich zur Anzeige nicht äußern

Bei der Deutschen Bahn war offiziell keine Stellungnahme zu der Strafanzeige zu erhalten. In einem Mitarbeiterschreiben hatte Bahnchef Grube Ende vergangener Woche jedoch behauptet, der Aufsichtsrat sei „unmittelbar“ informiert worden, „nachdem valide und geprüfte Ergebnisse des 6-Punkte-Programms vorlagen“. Diese seien dem Aufsichtsrat am 12. Dezember 2012 offengelegt und gleichzeitig die Projektpartner darüber informiert worden.

Zur Untermauerung ihrer Strafanzeige haben Loeper und Reicherter auch das Dossier des Verkehrsministeriums eingereicht, das ihnen nach eigenen Angaben vorliegt. Vorige Woche war durch Berichte dieser Zeitung bekannt geworden, wie kritisch die Bundesregierung S 21 und das Handeln der DB-Spitze inzwischen sieht.

Das Dossier für den zuständigen Staatssekretär und DB-Aufsichtsrat im Haus von Minister Peter Ramsauer (CSU) wurde zum Krisentreffen der Bahnkontrolleure am vorigen Dienstag erstellt. Es kreidet der DB-Spitze gravierende Verfehlungen an, darunter verspätete und sogar falsche Information des Aufsichtsrats zu den Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro sowie zu ihrer Finanzierung. Deshalb sollten Regressansprüche geprüft werden, betonen die Regierungsexperten in dem 15-seitigen Dokument.

Kritiker stützten sich auf internes Dossier

Aus dem Dossier geht hervor, dass der DB-Vorstand Volker Kefer die vorläufigen Ergebnisse der Kostenüberprüfung bei S 21 schon seit dem 2. Juli 2012 kannte. Zudem wurden „erste Einschätzungen“ im Konzern bereits am 3. August 2012 erörtert, heißt es unter Bezug auf DB-Angaben. Die Mehrkosten von 2,3 Milliarden Euro wurden dem Aufsichtsrat und der Öffentlichkeit aber erst am 12. Dezember offiziell bekannt gegeben.

Zudem stellt das Ministerium im Dossier ausdrücklich einen Zusammenhang zwischen den „verspäteten“ sowie „falschen Informationen“ des Aufsichtsrats und den Vertragsverlängerungen für die DB-Vorstände Rüdiger Grube, Volker Kefer, Richard Lutz und Karl-Friedrich Rausch seit Sommer 2012 her. „Bei rechtzeitiger Information durch den Vorstand“, heißt es im Dossier, „hätte der Aufsichtsrat zudem diese Informationen bei seinen Entscheidungen über Vertragsverlängerungen . . . berücksichtigen können“. Jurist Loeper sieht darin den strafrechtlich relevanten Vorwurf, dass sich die DB-Vorstände die Vertragsverlängerung „erschlichen“ haben könnten.