Die Grünen haben den Protest gegen Stuttgart 21 für beendet erklärt. Doch längst nicht alle richten sich auch danach.

Stuttgart - Das amtliche Endergebnis der Volksabstimmung über Stuttgart 21 war noch nicht verkündet, da hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann für die Grünen schon die neue, schmerzhafte Marschroute verlesen: „Kritisch-konstruktiv“ würde die Partei fortan das Bahnprojekt begleiten, die Pflicht zum friedlichen Widerstand wurde für beendet erklärt und durch ein Bekenntnis zur Projektförder-pflicht ersetzt. Das Volk wolle es so.

 

Die Kehrtwende sei Kretschmann eh nicht allzu schwergefallen, klagen drei Wochen danach frustrierte Parteifreunde, das habe er mit Staatsministerin Silke Krebs gemeinsam, der nachgesagt wird, lange vor der Volksabstimmung versucht zu haben, Verkehrsminister Winfried Hermann in seinem Kampf gegen S 21 auszubremsen.

Ein klarer Fall von Revanchefoul: in einer konzertierten Aktion hatten 2010 namhafte Widerstandsikonen in letzter Sekunde verhindert, dass ihre damalige Landesvorsitzende mit am Schlichtungstisch sitzt. Heute muss man lange suchen, bis man auf der Internetseite des Staatsministeriums überhaupt etwas über S 21 findet. Das Verkehrsministerium verharrt dagegen noch in der Schockstarre: „Das Projekt ist nicht unumstritten“, erfährt man auf der Website . Immerhin. Presseanfragen zum Thema werden mit erkennbarem Widerwillen und zeitlichem Puffer beantwortet. Das Staatsministerium hält es gar nicht mehr für nötig zu antworten.

Werner Wölfle hatte sich längst abgenabelt

Werner Wölfle, lange Zeit einer der Frontmänner gegen S 21, hat sich aus beruflichen Gründen schon vor Monaten abgenabelt. Als „Wendehals“ wird er heute von den eigenen Leuten beschimpft, so auch vergangene Woche im Rathaus, wo er Blockiererern vor dem Sitzungssaal mit der Polizei drohte. Als Verwaltungsbürgermeister war ihm freilich gar nichts anderes übrig geblieben, als auf sein Hausrecht zu verweisen. Auf Mails frustrierter Bürger antwortet er jetzt, dass gute Demokraten Mehrheitsentscheidungen akzeptierten. Die Gegenseite droht mit Parteiaustritt.

An der Basis tut man sich mit dem kritisch-konstruktiven Umgang schwerer als an der Parteispitze: Eine stattliche Anzahl grüner Stadträte hat sich in der vergangenen Woche bei der Genehmigung einer unstrittigen Rahmenvereinbarung enthalten. Gewöhnlich stimmt man solch einem Vertrag zu; nur weil es aber die Nutzung städtischer Areale wegen S 21 betraf, stellten sich einige quer. Der Fraktionschef Peter Pätzold bittet um Verständnis. Die Nerven lägen halt noch immer blank. Er erwarte einen differenzierten Umgang mit der Materie – so wie bei der Verabschiedung des Stellenplans, als ohne Gegenstimmen drei Mitarbeiter für die Überwachung des Grundwassers gebilligt worden seien. Gefälliges Abnicken sei aber nicht angesagt. Die positive Begleitung sei „kein Freibrief für das Projekt“. Man werde weiter auf Missstände hinweisen, auch auf die Gefahr hin, dass es zu Verzögerungen oder Mehrkosten komme. „Das wäre dann nicht unser Problem, sondern das des Bahnprojekts.“

Einige in der Fraktion tun sich mit der neuen Rolle richtig schwer, Thekla Walker zum Beispiel. Sie enthielt sich bei der Abstimmung über die Rahmenvereinbarung – als Landesvorsitzende der Grünen hatte sie allerdings drei Wochen zuvor höchstpersönlich verkündet, die Partei beende den grundsätzlichen Protest gegen Stuttgart 21. Auch der Fraktionskollege Peter Svejda hat aktuell zwei Hüte auf: Indem er sich als Stadtrat der Stimme ebenfalls enthielt, ignorierte er die Vorgabe des Kreisvorstands, dem er selbst angehört, es nun gut sein zu lassen mit dem aktiven Widerstand. Ein solches Verhalten dürfte die Parteibasis weiter verunsichern.

Man darf deshalb gespannt sein, was die Mandatsträger und die einfachen Mitglieder unter „kritisch-konstruktiv“ verstehen, wenn im Schlossgarten die Bäume fallen. Ein Rat lautet, Stadträte sollten sich von den vorderen Reihen fernhalten und die Rolle des kritischen Beobachters wählen.