Der grüne Rathauschef Fritz Kuhn verhindert den Auftritt der Vertrauensleute der Bürgerbegehren im Gemeinderat. Die Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs bleiben. Die Fraktionen können sich deshalb einen Faktencheck im Rathaus vorstellen.

Stuttgart - Nach einer mehrstündigen kontroversen Debatte hat der Verwaltungsausschuss zum Thema Stuttgart 21 und den beiden Bürgerbegehren zur Beendigung des Projekts zwei heftig umstrittene Entscheidungen getroffen und eine weitere aus Zeitmangel auf die Gemeinderatssitzung am Donnerstag verschoben. Es wird deshalb ein weiterer Schlagabtausch zwischen Projektbefürwortern und OB Fritz Kuhn (Grüne) auf der einen sowie SÖS-Linke-Plus und AfD auf der anderen Seite erwartet.

 

Im Mittelpunkt des ersten Beschlusses stand der OB. Erst hielt er es für unproblematisch, den Gemeinderat darüber befinden zu lassen, Vertrauensleute der beiden Bürgerbegehren zu den komplexen Themen der Projektfinanzierung und der Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs anzuhören. Bei der Entscheidung votierte er aber dagegen, sorgte so für Stimmengleichheit – und damit für die Ablehnung des Antrags. Eine bunte Mischung – die Antragssteller SÖS-Linke-Plus, Grüne, AfD, FDP sowie der SPD-Kreischef Dejan Perc – hatten für das Rederecht plädiert. CDU, SPD und Kuhn waren dagegen. Dies nahm das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 zum Anlass, den OB daran zu erinnern, dass er „im Wahlkampf noch wortreich den Leistungsrückbau beklagt und sich als Protagonist für Bürgerbeteiligung inszeniert hatte“. Nun habe er „offenkundig umgeflaggt“. Auch Hannes Rockenbauch (SÖS-Linke-Plus), als Kandidat der Linken längst im Landtagswahlkampfmodus, erinnerte Kuhn daran, wie die beiden Seit an Seit im OB-Wahlkampf den Leistungsrückbau moniert hätten.

Rockenbauch sieht keine Geschäftsgrundlage

Die große Mehrheit gegen SÖS-Linke-Plus und AfD-Stadtrat Maier – so lautete die Konstellation dann auch bei der Bewertung des Bürgerbegehrens, das darauf abzielte, die Stadt zum Ausstieg aus dem Finanzierungsvertrag für S 21 zu zwingen. Dieses von mehr als 20 000 Bürgern unterschriebene Begehren sei auf ein rechtswidriges Ziel ausgerichtet, hatte der von der Stadt beauftragte Gutachter Christian Kirchberg ermittelt. Begründung: die Vertragspartner hätten keine Kündigung aus finanziellen Gründen vorgesehen. Falls Mehrkosten entstünden, und das ist nach der Explosion von 4,5 auf 6,8 Milliarden Euro nicht mehr in Abrede zu stellen, sei vereinbart worden, über das Problem zu sprechen. Hannes Rockenbauch meint dagegen, die Geschäftsgrundlage sei entfallen, weil die Bahn die Partner betrogen habe. Schon vor der Unterzeichnung seien die Mehrkosten bekannt gewesen.

Auch dem Bürgerbegehren zum Leistungsrückbau droht am Donnerstag die Ablehnung – neben CDU, SPD, FDP und Freien Wählern haben auch die Grünen für die Sitzung ein Nein angekündigt. Jochen Stopper hat für die Alternativpartei dargelegt, dass die Absage seiner Fraktion nicht bedeute, dass sie den Bahnhof für ausreichend dimensioniert halte. Man erachte nur den Weg der Klärung über das Bürgerbegehren für falsch. Dies sei aus rechtlichen Gründen abzulehnen.

Grüne und SPD schlagen Veranstaltung im Rathaus vor

Einen Sieg haben die Initiatoren dennoch errungen: Die Frage, ob der Tiefbahnhof und die Zu-und Ablaufgleise zu gering dimensioniert, damit auch die Bahnsteige sowie Zu- und Abgänge der Station zu gering bemessen sind und der Bahn somit falsche Versprechen nachgewiesen werden können, könnte tatsächlich demnächst im Rathaus thematisiert werden. SPD und Grüne haben jedenfalls eine Veranstaltung ähnlich der Schlichtung vorgeschlagen, in der die Bahn konkret auf die Vorhaltungen von Projektkritikern wie Christoph Engelhardt von der Internet-Plattform Wikireal reagieren solle. Der Münchner sagt, er habe anhand von Bahnunterlagen nachgewiesen, dass für den Tiefbahnhof stets nur 32 Züge veranschlagt worden seien. Und zwar, weil nicht mehr möglich sei. Da der alte Bahnhof locker 38 Züge pro Stunde schaffe, sei dies ein mindestens 6,8 Milliarden Euro teurer Rückbau.

Gutachter Kirchberg kommt auch bei diesem Bürgerbegehren zum Schluss, es sei abzulehnen, weil keine konkreten Anhaltspunkte für eine einseitige Kündigung vorlägen. Er stellte fest, es seien im Text des Begehrens keine Gründe für mangelnde Leistungsfähigkeit aufgeführt. Auch sei nie eine – von den Partnern einforderbare – Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs um 50 Prozent „vereinbart“ worden. Die entsprechende Formulierung in einer Anlage des Finanzierungsvertrags sei nur eine „Zielvorstellung gegenüber dem Angebot von 2001“.

OB Kuhn weist auf Fußnote hin

Darauf hat auch OB Kuhn abgehoben. Als vermeintlichen Beleg dafür, dass die Kritiker offenbar Äpfel mit Birnen gleichsetzten, wies er auf eine Fußnote im Vertrag hin. Diese belege, dass nur die im Takt verkehrenden Züge berücksichtigt seien. Das verwundert Engelhardt: Er behauptet, an den Passus mit der Zusage „plus 50 Prozent“ schließe sich nachweisbar keine Fußnote an. In dem Abschnitt werde Bezug genommen auf das tägliche „Zugangebot“. Dazu zählt nach seinem Dafürhalten auch die morgendliche Spitzenstunde. Woran er die Stadträte auch nicht erinnern durfte: diesen wurde 2007 in einer Gemeinderatsvorlage die Zahl 50 plus ohne Einschränkung vermittelt.

Projektkritiker empören sich im Netz darüber, dass OB Kuhn stattdessen den Vorstand der Stuttgarter Straßenbahnen, Wolfgang Arnold, um eine Stellungnahme bat. Losgelöst von der Debatte zu diesem Zeitpunkt bekam Arnold die Gelegenheit, den Tiefbahnhof mit einer effizienten zweigleisigen Stadtbahnstation zu vergleichen. Bizarr erscheint ihnen auch der Hinweis, der Kopfbahnhof werde leistungsfähiger gerechnet, weil man zu den mit Personen „besetzten Zügen“ auch Rangierfahrten hinzurechne.

In der Gemeinderatssitzung am Donnerstag wird die Kritik an der Expertise vertieft werden. So wird dem städtischen Gutachter Kirchberg vorgeworfen, die Berücksichtigung von Bahndokumenten verlangt zu haben, die erst nach dem Start des Bürgerbegehrens bekannt geworden seien. Der Gutachter wolle trotz der unzähligen Gegenargumente der S-21-Kritiker keine konkreten Anhaltspunkte für einen Leistungsrückbau erkannt haben, referiere aber etwa über Aussagen der Gerichte über die zu niedrige Kapazität bei Stuttgart 21 von 32 Zügen.