Die von unserer Redaktion exklusiv veröffentlichen Aussagen von Ex-Bahn-Vorstand Thilo Sarrazin über die Unwirtschaftlichkeit von S21 lösen Unruhe aus.
Stuttgart - Bahn-Chef Richard Lutz gerät wegen seiner Aussage unter Druck, wonach die Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 erst im Verlauf des Projekts deutlich geworden seien. Das hatte der Vorsitzende der Deutschen Bahn am 18. April bei einer Anhörung im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags erklärt. Die Verkehrsexpertin der Linken im Parlament, Sabine Leidig, wirft Lutz jetzt vor, er habe im Ausschuss „die Unwahrheit gesagt“.
Schon vor Baubeginn von S 21 habe die Unwirtschaftlichkeit festgestanden, und der heutige Bahn-Chef müsse als damaliger Controller „darüber Bescheid gewusst haben“, sagte Leidig unserer Redaktion. Ihren Vorwurf stützt die Bundestagsabgeordnete auf die aktuellen Erklärungen des früheren DB-Vorstands Thilo Sarrazin, über die wir in der Mittwochsausgabe berichtet haben.
Lutz gilt als bester Kenner der Bahn-Zahlen
Lutz ist seit 1994 beim Staatskonzern beschäftigt. Er war lange führender Controller und ist bis heute in Doppelfunktion weiter als Finanzvorstand tätig. Er gilt als mit Abstand bester Kenner aller Bilanzen und Finanzzahlen des Großkonzerns. Im April hatte Lutz im Ausschuss erstmals eingeräumt, dass S 21 für den Konzern Verluste von mehr als 2,2 Milliarden Euro bringt. Die Kosten des Tunnelprojekts, das erst 2025 fertig werden soll, haben sich bereits auf bis zu 8,2 Milliarden Euro mehr als verdreifacht, ebenso die Eigenanteile der Bahn.
Laut Sarrazin, der damals für Mehdorn die DB-Großprojekte auch mit Blick auf einen Börsengang prüfte, zeigten schon Gutachten in den Jahren 1999 und 2001, dass sich S 21 für die DB nicht rechnet. Das Projekt habe in internen Vergleichen „den hintersten Rang“ eingenommen. Nur durch Ausklammerung aller Risiken sei S 21 „scheinbar“ wirtschaftlich.
Sarrazin schied 2001 vorzeitig bei der Bahn aus
Sarrazin war in den Jahren 2000 und 2001 unter dem damaligen Bahn-Chef Hartmut Mehdorn federführend mit S 21 befasst. Der streitbare Ex-Bundesbanker und frühere Berliner Finanzsenator ist von der AfD als Experte für die S-21-Anhörung im Bundestagsausschuss am kommenden Montag nominiert worden. Der Querdenker schied Ende 2001 nach einem Streit mit Mehdorn vorzeitig bei der DB aus. Er habe „klare Grenzen ziehen“, „dem Wunschdenken der Konzernspitze nicht mehr folgen“ und als verantwortlicher Netzmanager für S 21 nicht falsch entscheiden wollen, schreibt Sarrazin. Von der Deutschen Bahn war auf Anfrage zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.