Eine von Minister Hermann in Auftrag gegebene Studie über die Personenströme am neuen Tiefbahnhof in Stuttgart sorgt für Irritationen. Jetzt versucht der Grünen-Politiker zu erklären, weshalb er die Expertise, die ihm  seit Dezember 2013  vorliegt, bisher für sich behalten hat.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Der Versuch der Schadensbegrenzung umfasst zweieinhalb Seiten. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) lässt darin erklären, weshalb ihm ein Gutachten zur Personenstromanalyse im neuen Tiefbahnhof zwar seit Dezember vorigen Jahres vorliegt, er das Ergebnis der Expertise seither aber für sich behalten hat. Die Untersuchung, in der dargestellt wird, wie komfortabel sich die Menschen im Bahnhof bewegen können, sei „noch nicht abschließend ausgewertet“, heißt in der Mitteilung des Ministeriums. Eventuell auftretende „Kritikpunkte an der Methodik sollen noch ausgeräumt werden“.

 

Das ist erstaunlich. Denn Auftraggeber der unter Verschluss gehaltenen Studie ist kein Geringerer als Hermann selbst. Sein Ministerium hat das in Karlsruhe ansässige Planungsbüro PTV gebeten, eine viereinhalb Jahre alte und damals von der Bahn initiierte Personenstromanalyse zum Tiefbahnhof zu überprüfen. Diese Expertise war von S-21-Gegnern massiv kritisiert worden. Sie hatten bemängelt, dass auf den Bahnsteigen und Treppen drangvolle Enge herrsche. Zudem hätten die Bahn-Gutachter unterstellt, dass nur 32 Züge in den Spitzenstunden in der unterirdische Station hielten und nicht jene 49 Züge, die Grundlage des Stresstests waren.

Angesichts dieser Kritik sei es das Ziel des neuen Gutachtens gewesen, das Papier der Bahn-Experten einer „Betrachtung und Bewertung“ zu unterziehen, ließ Hermann am Mittwoch ausrichten. Zugleich solle „die Untersuchung einen gutachterlichen Vergleich zwischen der Personenstromqualität des heutigen Kopfbahnhofs und des zukünftigen Tiefbahnhofs vornehmen, um die Debatte über angebliche Qualitätsunterschiede zu versachlichen“.

Hermann: Studie bildet den aktuellen Planungsstand nicht ab

Das Ergebnis: bliebe es wie bisher bei 240 000 Reisenden, die den Hauptbahnhof täglich nutzten, biete die neue Durchgangsstation „einen besseren Reisendenfluss als der Kopfbahnhof“. Setze man aber den prognostizierten Zuwachs auf 300 000 Fahrgäste an, verschlechtere sich die Qualität. Insgesamt aber könnten die alten Resultate der Bahn-Experten – „trotz einiger zu bemängelnden Punkte“ – als „Ergebnisse auf der sicheren Seite eingestuft“ werden, heißt es in der aktuellen PTV-Studie, die der Stuttgarter Zeitung vorliegt. „In der Modellierung der Personenstromanalyse“ seien „keine maßgebenden handwerklichen Fehler zu erkennen“.

Was Minister Hermann mit dieser Erkenntnis anfangen will, ist allerdings unklar. Denn als Auftraggeber muss er nun einräumen, dass die von ihm bezahlte Studie „nicht den aktuellen Planungsstand der DB AG“ abbildet. Zum Beispiel fehlen in der Betrachtung des Tiefbahnhofs die Fluchttreppenhäuser, welche die Bahn wegen des Brandschutzes inzwischen eingeplant hat. Unter anderem deswegen hat die S-21-Bauherrin für April eine neue Personenstromanalyse angekündigt. Wie sich die Planungsänderungen auswirken, „ist noch nicht absehbar“, teilt das Ministerium nun mit. Unklar sei auch, „wie und in welche Richtung“ sich eine Erhöhung der simulierten Züge auf die im Stresstest festgesetzte Zahl 49 in den Spitzenstunden auswirke. Dies sei auch in dem neuen Gutachten nicht untersucht worden, sagt eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage. Begründung: Man habe von exakt denselben Prämissen ausgehen müssen wie einst die Bahn-Experten; nur so sei die Vergleichbarkeit der Analysen gewährleistet.

Kosten des Gutachtens

Und selbst der einzige Punkt in der neuen Expertise, der über das alte Bahn-Papier hinaus geht, ist nach Ansicht des Auftraggebers von begrenztem Wert. „Ein Vergleich von Durchgangsbahnhof und Kopfbahnhof ist schwierig, da die Anlagen völlig unterschiedlich sind“, konstatiert das Ministerium jetzt jedenfalls – und kündigt an, dass man „diesen absehbaren Kritikpunkt an der Methodik noch abarbeiten möchte, da ansonsten das Ziel einer Versachlichung der Debatte nicht erreichbar ist“.

Mit dieser Einschätzung dürfte Hermann durchaus recht behalten. Zwar enthält sich S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich am Mittwoch noch eines Kommentares – er will sich erst am Donnerstag äußern. Trotzdem steht der Minister in der Kritik. Selbst Christoph Engelhardt, der mit seiner Plattform „Wikireal“ einer der schärfsten Streiter gegen den Tiefbahnhof ist, fragt sich, warum die Studie geheim gehalten wurde. Er hielte es für „absolut wünschenswert, dass das Gutachten öffentlich wird“. Das Fazit der Expertise hält er aber für unbrauchbar: „Bei gleichen Parametern ist es kein Wunder, wenn PTV zu ähnlichen Ergebnissen wie der frühere Gutachter kommt.“ Es seien „aber vor allem die Parameter, die zu kritisieren sind“.

Jochen Haußmann, der verkehrspolitische Sprecher der FDP im Landtag, meint dagegen, „dass Hermann „seinen persönlichen Kampf gegen S 21 auf Kosten des Steuerzahlers mit teuren Gutachten weiterficht“. Und wenn dann noch „ein positives Ergebnis für S 21 verheimlicht wird, bekommt das den fahlen Beigeschmack einer ministeriellen Manipulation“.

Auf Anfrage der Stuttgarter Zeitung weist Hermann diesen Vorwurf zurück. Er habe „keinerlei Interesse daran, Gutachten oder Ergebnisse zu verheimlichen“. Und auch die Kosten des Gutachtens seien kein Geheimnis: 38 556 Euro.